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Kultur: Amt oder Amen

Eine

von Thomas Lackmann

Er war 39 Jahre in der Politik an der Spitze gewesen. Seine Abdankung hatte er immer wieder aufgeschoben. Die rührenden Abschiedszeremonien wurden, als es dann endlich so weit war, von bewegten Chronisten festgehalten: Dass einer mit so viel Macht vorzeitig abtritt, passiert selten. Er beschwor seinen Nachfolger, den Glauben der Väter zu bewahren. Es schmerze ihn, ein zerrissenes Reich als Erbe zu übergeben. Er habe niemandem Unrecht tun wollen und wenn doch, so bitte er um Verzeihung. Jetzt sei er todmüde. Ob es Karl V. gelungen ist, diese Rede vom 22. Oktober 1555 ohne Ähs vorzutragen, wissen wir nicht. Aber einen Zettel hat der 55-Jährige benutzt; überliefert sind auch seine Tränen, sein bleiches Niedersinken in den Sessel, die Umarmung mit Kronprinz Ferdinand.

Über die Motive des Regenten, nach so langem Zögern die Geschäfte niederzulegen, können Historiker nur spekulieren. Eine übernatürliche Erscheinung allerdings, die ihn dazu drängte abzutreten, hat nicht mal der fromme Kaiser Karl gebraucht. Manchmal geht es allerdings nicht ohne Gottesurteile und ähnliche Eingriffe, die unser aufgeklärtes Bewusstsein beleidigen. „Jenes höhere Wesen, das wir verehren“ (Heinrich Böll) verzichtet in der Regel auf solche peinlichen Demonstrationen. Es ist daher eher ein Zufall, dass sich göttliche Amtsantrittsverhinderungsaktionen zu Beginn dieses Jahres gehäuft haben – bislang beschränkt auf den mehr oder weniger kirchlichen Bereich.

Vergangene Woche musste ein katholischer Priester, der SPD-Bürgermeister von Wiesbaden werden wollte, seine Kandidatur aufgeben, weil Parteigenossen versäumt hatten, ihn aufstellen zu lassen. Das Kirchenrecht verbietet ein solches theokratisches Engagement, weshalb der Mann bereits von seinem geistlichen Amt suspendiert worden war. Das hat dem lieben Gott aber nicht gereicht; hier wurde zum Thema „Christentum und Politik“ ein Exempel statuiert, unter Ausschaltung jeglicher sozialdemokratischer Geistesgegenwart.

Der andere dramatische Kraftakt von oben, die Verhinderung des Aufstiegs eines ehemaligen Geheimdienst-Informanten zum Primas der polnischen Kirche, ist uns noch ziemlich präsent. Skeptiker, denen die Vorstellung widerstrebt, „jenes höhere Wesen“ könne im Weltgeschehen mitpfuschen, werden sagen, letztlich sei alles erklärbar verlaufen: Ein Kaplan wollte zur Zeit des Kalten Krieges kirchliche Karriere machen, im Westen studieren, hat sich arrangiert; der Vatikan lässt sich von den Beteuerungen des Karrieristen, der inzwischen Bischof wurde, täuschen und zieht erst in letzter Minute die Notbremse. Fünf Minuten vor Beginn der Einführungsmesse! Jesus! Falls der Papst das inszeniert haben sollte, ist es ein ziemlich mutiges Regietheater. Uns erscheint ein Gottesurteil in diesem Fall plausibler.

Die Lektion für 2007: Was im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in der Heiligen Katholischen und Apostolischen Kirche möglich ist, kann nicht einmal für Bayern ausgeschlossen werden. Steht sonst noch jemand auf dem Sprungbrett? Abschiedsredenzettel sind flugs geschrieben. Schluchzer und Umarmungen werden derzeit recherchiert.

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