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Ausstieg aus dem Überseekoffer. Szene mit Johanna Wokalek (3. von links), Corinna Kirchhoff (5. v. l.) und Peter Luppa (unten).

© Ruth Walz

Andrea Breth am Berliner Ensemble: Mehr sonderbar als wunderbar

Für „Ich hab die Nacht geträumet“ hat Andrea Breth hunderte Fundstücke kompiliert. Ihr Theaterabend am Berliner Ensemble wird zur Absurditätenrevue.

Ein sonderbarer Abend. Viel wird getänzelt, gesummt, stolziert, trilliert, zitiert. Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler samt einem Dutzend Musiker und Choristen zelebrieren im Berliner Ensemble ein szenisches Allerlei unter dem Titel „Ich hab die Nacht geträumet“.

Dazu merkt das Programmheft an, dass die Regisseurin Andrea Breth „aus über 500 literarischen Texten, Musik- und Fundstücken aus dem Internet“ ihre Auswahl getroffen habe für dieses „Schauspiel mit Musik“.

Das Sonderbare soll hier zum Wunderbaren werden. Darum sitzt Corinna Kirchhoff als eine der Protagonistinnen beispielsweise mit Pelzstola und Damenhut auf einem senfgoldenen Sofa neben einem ausgestopften weißen Spitz, der auch zwitschern kann.

Später liegt sie auch mal auf einem quer über die Bühne bewegten Überseekoffer und teilt uns, bevor sie wieder in den Kulissen verschwindet, noch mit, dass sie wohl eine Magnatin der „Schnürsenkelwirtschaft“ sei.

So geht das drei Stunden lang. Wobei mitunter sehr sanft und melancholisch ein paar Pianotakte Robert Schumann und Heine-Verse erklingen, dann „Gute Nacht“ von Franz Schubert oder etwas Moll von Edvard Grieg.

Der von Brahms vertonte Nachttraum-Titel entstammt einem 250 Jahre alten Volkslied von Friedrich Nicolai, aber es gibt auch Sekunden- oder Minutenbruchstücke aus Filmtexten von Stanley Kubrick, Ulrich Seidl oder David Lynch. Nebst einem Hauch Noh-Theater und poetischen, philosophischen, kabarettistischen Fitzeln von Goethe, Adorno, Ingeborg Bachmann, Diener Hildebrandt oder Heiner und Herta Müller (die Literaturnobelpreisträgerin war im Premierenpublikum).

Fast 80 wechselnde Blitzlichter der Kulturgeschichte. Ein romantisch absurder Streifzug auch durch den Kopf einer großen Regisseurin. Denn die siebzigjährige Andrea Breth verkörpert als ehemalige Schaubühnendirektorin, Wiener Burgtheaterstar und ingeniöse Menschendramenerkunderin doch schon selbst ein Stück Theaterweltgeschichte.

Alexander Simon und Corinna Kirchhoff.
Alexander Simon und Corinna Kirchhoff.

© Ruth Walz

Aber die Welt und leider auch der Theaterwitz bleiben dem vermeintlichen Traumspiel eher fern. Es herrscht statt träumerischem Zauber (oder albtraumhaftem Schrecken), gedacht als Gegenbilder zur realen Wirrnis unserer Tage, über weite Strecken nur sehr gediegene Langeweile.

Schon der graue Filz, mit dem die zum immergleichen Wechsel aus engem Korridor und plattem Querraum verschobenen Bühnenwände ausstaffiert sind (Szenerie: Raimund Orfeo Voigt), legt sich leicht lähmend auf die Szenerie – wie Ikea für Kafka. Und geradezu gruftig wirken einige der Lied-Arrangements, denen selbst bei deutschen Trostschnulzen aus dem Zweiten Weltkrieg (!) oder Läppischem aus den Fünfzigerjahren alles pointiert Parodistische oder gar Kritische mangelt. Das zieht die Ansätze zu allem Abgründigeren immer wieder ins Seichte. Nur nicht in jenes wirklich Leichte, das laut Brecht das Schwerste ist im Theater.

Nach der Pause wird’s punktuell besser. Da stakst Johanna Wokalek auf High Heels die Rampe lang und verheddert sich virtuos im Riemen ihrer Umhängetasche, dabei Sylvie Vartans „Vivre pour le meilleur“ halb singend, halb komisch keuchend. Da erstrahlt ein kurzer Glanz im Filzgrau, wie auch bei ein paar gelenkig schrägen Slapsticks von Martin Rentzsch oder Adam Benzwi, der zudem die musikalische Leitung hat.

In solchen Momenten beginnt der Abend zu schweben, und man selbst muss sich nicht mehr austräumen, was ein Christoph Marthaler, Herbert Fritsch oder Barry Kosky an Komik, Kühnheit und nicht nur aus der Zeit gefallener Romantik hier wohl eingebracht hätten. Aber die Summe ergibt nicht mehr als die Einzelteile, aus dem Potpourri wird kein Panorama. Es ist eine Absurditätenrevue, doch Andrea Breth keine Lady Dada. Ihr fehlt hier in den Brüchen das Stück.

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