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Sagt Lesereise ab. Der Schriftsteller Uwe Tellkamp.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Debatte um Dresdner Auftritt: Angst vor "Zweckentfremdung": Uwe Tellkamp sagt seine Lesereise ab

Uwe Tellkamp hat Lesungen abgesagt, weil er fürchtet, dass sie von Kräften gekapert werden, "die mit Literatur nichts zu tun haben". Debatte um rechte Verlage auf der Leipziger Buchmesse.

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat seine im März geplante Lesereise in Norddeutschland nach Angaben des Eichthal-Verlags abgesagt. „Der Autor Uwe Tellkamp fühlt sich nach den Vorkommnissen bei der Diskussion in Dresden momentan nicht in der Lage, Lesungen vor Publikum durchzuführen“, teilte der Verleger der Edition Eichthal, Jens-Uwe Jess, am Donnerstag mit. Es sei nicht gelungen, diesen Entschluss rückgängig zu machen. „Herr Tellkamp sieht eine nicht unerhebliche Gefahr, dass seine Lesungen zweckentfremdet und von Kräften gekapert werden, die mit Literatur wenig oder nichts zu tun haben.“

In einer Diskussion mit dem Lyriker Durs Grünbein in Dresden hatte der Schriftsteller Nähe zur AfD und der ausländerfeindlichen Pegida gezeigt. Mit Äußerungen über Flüchtlinge und angeblich drohende Repressionen gegen Andersdenkende in Deutschland löste Tellkamp dabei Kritik und Irritation aus („Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“)

In Schleswig, Kiel, Lübeck und Hamburg sollte der Dresdner Autor aus seinem Werk „Die Carus-Sachen“ lesen, das bei Edition Eichthal erschienen ist, sowie aus „Lava“, der noch unveröffentlichten Fortsetzung von „Der Turm“ (2008).

„Tellkamp ist als Autor hochwichtig. Und es ist überhaupt nicht notwendig, dass ich in allen Teilen seiner Meinung bin“, sagte Jess der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. In den „Carus-Sachen“ schildert der studierte Arzt Tellkamp nach Angaben des Verlags im Rahmen einer Vater-Sohn-Beziehung das Leben und Werk seines Dresdner Vorgängers, des Mediziners, Schriftstellers und Naturphilosophen Carl Gustav Carus. Die Versöhnung von Natur und Technik sei ebensowichtig wie die Meinungsfreiheit, ergänzte Jess.

Monika Maron nimmt Tellkamp in Schutz

Der Suhrkamp Verlag hatte sich nach dem Streitgespräch in Dresden von Uwe Tellkamp distanziert. Rückendeckung bekam der Schriftsteller von seiner Kollegin Monika Maron. Das Verhalten des Verlags sei eine „Ungeheuerlichkeit“, sagte Maron im Deutschlandfunk. „Ein Verlag ist die einzige Andockstation für den Autor. Der gehört nur zu seinem Verlag und von dem erwartet er Beistand und auch Schutz, aber nicht Verrat.“ In ihren Augen habe der Suhrkamp Verlag seinen Autor verraten, und sogar ohne Not, weil kein Mensch davon ausgehe, dass ein Autor die Meinung seines Verlages repräsentiere.

Tellkamp habe eine Diktion, die ihr nicht aus dem Herzen spreche, so Maron. „Aber ich muss sagen, ich habe mir das zweimal angesehen, weil ich auch was darüber geschrieben habe. Ich habe bis auf diesen einen Satz mit den 95 Prozent und noch eine Kleinigkeit, die ich anzumerken hätte, nichts gefunden, was nicht ohnehin überall mittlerweile auch in Zeitungen diskutiert wird. Mit anderen Worten: Ich verstehe die Aufregung nicht.“

Die Leipziger Buchmesse hat am Donnerstag unter großen Andrang ihre Tore geöffnet.

Åsne Seierstad bemüht die norwegische Mythenwelt, wenn sie über die Zunahme von Rechtsextremismus spricht: „In den norwegischen Märchen verwandeln sich Trolle in Steine, wenn sie von den Strahlen der Sonne getroffen werden. Das müssen wir auch mit Extremisten tun - sie herauslocken ans helle Tageslicht, sie unter die Lupe nehmen, sie entlarven“, sagt die mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnete norwegische Autorin. Als sie ihr Buch über den norwegischen Massenmörder Anders Breivik schrieb, konnte ihr noch nicht bewusst sein, dass das Thema auf der Leipziger Buchmesse eine eigene Dynamik bekommen würde.

Jenseits von Büchern und bunt verkleideten Mangafans ist eine heftige Diskussion über den Umgang mit rechtsgerichteten Verlagen entbrannt. Buchmesse-Direktor Oliver Zille hat sie zugelassen - allerdings nicht mal eine Handvoll haben Stände in der Ecke einer Halle bezogen. Für sie gilt, wie für alle anderen mehr als 2600 Aussteller: Sie müssen sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. „Wir stellen uns aber gegen jede Form von Rassismus und Hetze“, betont der Geschäftsführer der Leipziger Messe, Martin Buhl-Wagner.

Rechter Antaios-Verlag wappnet sich gegen Tumulte

Auf den ersten Blick ist davon auch nichts zu sehen. Das "Compact-Magazin" hat zwar martialische Poster aufgehängt, etwa zur angeblichen Islamisierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in Wehrmachtsuniform abgelichtet. Aber von Rassismus oder Sexismus keine Spur. Chefredakteur Jürgen Elsässer vom "Compact-Magazin" kokettiert mit dem gesteigerten Interesse in den Medien. „Manche Besucher könnten durchaus davon abgehalten werden, zu den bösen Buben, den Schmuddelkindern zu gehen. Aber ich bin lieber ein böser Bube als ein Mitläufer und Weichgespülter.“ Zwischendurch reicht er mit einem Lächeln neugierigen Jugendlichen Aufkleber.

„Das selbstbewusste Auftreten rechter Verlage bei der Buchmesse ist ein Novum“, sagt René Arnsburg vom Manifest-Verlag aus Berlin. Er ist Mitinitiator von #verlagegegenrechts, einer Initiative, hinter der mittlerweile mehr als 70 unabhängige Verlage sowie rund 200 Einzelpersonen stehen, die einen Aufruf gegen rechte Stimmungsmache auf der Buchmesse unterzeichnet haben. „Wir werden nicht hinnehmen, dass rechte Ideologien auf der Buchmesse verbreitet werden“, betont Arnsburg.

Gemeinsame Podiumsdiskussionen mit den rechten Verlagen lehnt er ab. Diese könnten dort prominent weiter ihre rechten Ideologien produzieren. Arnsburg sucht lieber den Dialog mit den Messebesuchern, will mit ihnen eine inhaltliche, politische Diskussion. Tumulte wie im vergangenen Herbst auf der Frankfurter Buchmesse, als Dutzende linke Demonstranten während einer Buchpräsentation „Nazis raus“ skandierten und es gar zu Handgreiflichkeiten kam, will er auf keinen Fall. „Die helfen nur den rechten Verlagen, weil sie dann in der Opferrolle sind.“

Am rechtsgerichteten Antaios-Verlag hat man sich gegen eventuelle Tumulte gewappnet - zwei private Sicherheitsleute flankieren den Stand. „Ich rechne schon mit Protesten, vor allem am Samstag und Sonntag bei unseren Veranstaltungen“, sagt Vertriebsleiterin Sigrid Wirzinger. Bei einem Gespräch mit dem Sicherheitsbeauftragten der Messe habe man ihr gesagt, dass auch lautstarke Sprechchöre zur Meinungsfreiheit gehörten und nicht unterbunden würden.

Die Messe selbst schweigt zu ihrem überarbeiteten Sicherheitskonzept. „Es wäre ja keines mehr, wenn wir öffentlich darüber reden würden“, betont Direktor Oliver Zille. Er setzt auf die Mündigkeit der Besucher und deren Fähigkeit zu differenzieren. Zille will nicht zu viel über das Thema rechte Verlage reden. „Ich wünsche mir, dass das gesamte Programm beachtet wird und nicht nur einige laute Beiträge gehört werden.“

So sieht es auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Beim Festakt zur Eröffnung der Buchmesse am Mittwochabend warnte er davor, rechte Verlage in den Mittelpunkt zu rücken: Allenfalls fünf von über 2600 Ausstellern seien dem rechten Spektrum zuzuordnen. Da sei es doch fragwürdig, wie viel Gewicht man diesen beimesse. (dpa)

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