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Kultur: Armer Ritter

"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert": Unter diesem Motto lud Alfred Biolek kürzlich Monica Lewinsky in seine Talkshow ein, wo Bill Clintons Ex-Geliebte sich in einer telegenen Mischung aus reuiger Sünderin und gefallenem Engel gut verkaufte, wie es im TV-Jargon heißt.Biolek hätte an Monicas Stelle auch Peter Handke einladen können, der derzeit der staunenden Öffentlichkeit demonstriert, wie ein weltweit anerkannter Dichter innerhalb kürzester Zeit sein Renommee verspielen kann.

"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert": Unter diesem Motto lud Alfred Biolek kürzlich Monica Lewinsky in seine Talkshow ein, wo Bill Clintons Ex-Geliebte sich in einer telegenen Mischung aus reuiger Sünderin und gefallenem Engel gut verkaufte, wie es im TV-Jargon heißt.Biolek hätte an Monicas Stelle auch Peter Handke einladen können, der derzeit der staunenden Öffentlichkeit demonstriert, wie ein weltweit anerkannter Dichter innerhalb kürzester Zeit sein Renommee verspielen kann.Handkes politischer Amoklauf, dessen vorläufiger Höhepunkt die Ankündigung ist, den Büchnerpreis (inklusive Preisgeld) zurückzugeben und mit lautem Getöse die katholische Kirche zu verlassen, dieser Amoklauf begann vor drei Jahren mit einer sogenannten Winterreise nicht zu den Opfern, sondern zu den Tätern des Krieges im früheren Jugoslawien, denen der Autor, vier Monate nach dem Massaker von Srebrenica, seine Sympathie bekundete, während er die zum Skelett abgemagerten Häftlinge des Todeslagers Omarska verhöhnte mit den Worten: "Wohl wirklich leidend, posieren sie".Ein seltsamer Satz, der das Einfühlungsvermögen des Dichters in schiefem Licht erscheinen läßt - ganz zu schweigen von seiner politischen Urteilskraft.Am Rande der Friedensverhandlungen von Rambouillet meldete sich Handke erneut zu Wort mit der ironisch gemeinten Mitteilung, fortan wolle er nur noch dem serbischen Staatsfernsehen Rede und Antwort stehen, und beschimpfte Schriftsteller aus Sarajewo als geistig verwirrte Alkoholiker.Nun hat Peter Handke sein Versprechen eingelöst und ist in die Hauptstadt seines selbstgewählten Vaterlands, nach Belgrad gereist, um die Invasion vom Mars, wie er die Luftangriffe der NATO nennt, an der Seite der Serben durchzustehen; zum Dank hat Milosevic ihn zum Ritter der serbischen Akademie ernannt.

Die Selbstdemontage des prominenten Autors findet ohne Netz unter Beifall und Buhrufen statt; Handkes Harakiri ist ein gefundenes Fressen fürs Feuilleton wie die "Publikumsbeschimpfung", mit der der damals noch schüchtern wirkende Dichter vor 33 Jahren die Bühne des Literaturbetriebs betrat.Seitdem hat der vom Erfolg verwöhnte Autor, anders als sein Kollege Günter Grass, immer nur Bestätigung erfahren, was das Denkvermögen des klügsten Kopfes trüben kann.Trotzdem glaube ich nicht, daß Handke Opfer seines Erfolgs geworden ist: Die Sache ist verwickelter und nur richtig zu verstehen, wenn man bedeutende Schriftsteller wie Ezra Pound oder Louis-Ferdinand Céline als Präzedenzfälle heranzieht.

Beide haben die Früchte ihres literarischen Ruhms verspielt, indem sie für international verfemte, totalitäre Regimes optierten: Pound für Mussolini und Céline für Hitler, nachdem er sich mit dem Buch "Bagatellen für ein Massaker" zum Entsetzen seiner meist linken Leser als Antisemit geoutet hatte.Bei beiden - und das gilt auch für Peter Handke - ist das politische nicht vom ästhetischen Engagement zu trennen, d.h.von literarischen Positionen, die sie unter dem Beifall der Kritik schon früher vertreten hatten.Damit meine ich weniger die Absage an die bürgerliche Gesellschaft, die bei der Geburt der modernen Literatur Pate stand, wobei Dichter gerne als Bürgerschreck posierten.Ich meine die Abscheu vor seinen intellektuellen Zunftgenossen, den Ekel vor zeitgeistigem Geschwätz, der das Werk von Ezra Pound un Céline ebenso wie das von Peter Handke durchzieht: Eine gesunde Abwehrreaktion, die der literarischen Selbstfindung dienen, aber auch zur Egomanie hypertrophieren kann.

Viele Schriftsteller sind eitle Egozentriker; wer sich und seine echten und eingebildeten Leiden nicht allzu ernst nimmt, bringt keine Zeile zu Papier.Was ihren Berufsstand gefährlich macht, ist, daß gewisse Literaten bereit sind, für eine witzige Formulierung oder gelungene Pointe die eigene Großmutter zu verkaufen - wenn es sein muß, den Rechtsstaat und die Menschenrechte gleich mit dazu.Blutrünstige Diktaturen haben die Dichter seit jeher mehr fasziniert als der Alltag einer parlamentarischen Demokratie, und der Krieg ist ein ergiebigeres Thema für Künstler als jeder mühsam ausgehandelte Kompromiß.Literatur ist ein riskantes Spiel, und so kommt es, daß hochbegabte Autoren aus ästhetischem Überdruß, aus Langeweile oder Trotz politisch Partei ergreifen für etwas, das sie eigentlich verabscheuen müßten.In seinem Buch "Bagatellen für ein Massaker" schreibt Céline, daß er den Antisemitismus zuerst spielerisch wie eine neue Frisur ausprobiert hat; der hysterische Aufschrei seiner intellektuellen Freunde bestärkte und bestätigte ihn, und unversehens wurde aus dem Spiel Ernst.Ähnlich scheint es Handke gegangen zu sein, desen scherzhaft gemeinte Ankündigung, in Zukunft gebe er nur noch dem serbischen Fernsehen Interviews, als sich selbst erfüllende Prophezeiung über Nacht Wahrheit geworden ist.Siegfried Unseld, Chef des Suhrkamp Verlags, hat sich demonstrativ hinter seinen Autor gestellt, anstatt Handke vor sich selbst in Schutz zu nehmen, damit der seinen Ruf nicht vollends runiert.Der Philosoph Alain Finkielkraut hat Handke als "Ideologisches Monster" bezeichnet, und die New Yorker Essayistin Susan Sontag hat angekündigt, daß sie keine Bücher mehr von ihm lesen wolle.Ezra Pound wurde 1945 von der US-Army wegen Kollaboration mit dem Feind in Pisa in einen Käfig gesperrt, und Louis-Ferdinand Céline büßte für seinen politischen Irrtum mit jahrelanger Ächtung im unfreuwilligen Exil; sein Verleger wurde nach dem Krieg als Kollaborateur hingerichtet.Die Sache ist ernst, denn um den Kosovo ist mehr als ein Streit um Worte entbrannt: nicht bloß Meinungen - Menschenleben stehen auf dem Spiel.

HANS-CHRISTOPH BUCH

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