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Szene aus "Der Tempelherr"

© Arno Declair

"Der Tempelherr" am Deutschen Theater: Arnold und seine Akteure

Kongenial: Philipp Arnolds Uraufführung von Ferdinand Schmalz’  „Der Tempelherr“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.

„Ist euch das nicht zu viel Klischee, der Mann am Grill?“, fragt eine junge Frau im spektakulären Abendkleid irgendwann in die illustre Picknick-Runde hinein. Aber nein: Stereotype scheinen das Letzte zu sein, was diese kleine Gesellschaft stört, die sich hier auf der Kammerbühne des Berliner Deutschen Theaters zusammengefunden hat. Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz lässt die versammelten Christinas, Markusse und Petras tatsächlich unverhohlen in Träumen von der Stange schwelgen. Die Kleinfamilie, das Häuschen auf dem Land, das Kerzenlicht – das sind so die Zeitgeist-Reliquien, die hier im ureigenen Sound des Dramatikers zwischen Philosophie, Wortwitz und höherem Volksstück angepeilt werden.

Aber natürlich wäre Schmalz nicht Schmalz, wenn er nicht von Anfang an klarmachte, dass die Sache mit der (Eigenheim-)Utopie vor allem gern mal schiefgeht. Die Runde steht in seinem neuen Stück „Der Tempelherr“ vor einer Investitionsruine wie aus dem Bilderbuch. Der junge Uraufführungsregisseur Philipp Arnold und sein Bühnenbildner Viktor Reim lassen kraterförmige Betonreste in Richtung Schnürboden ragen. Das darunter begrabene Fleckchen Erde hatte einst ein gewisser Heinar für sich und seine Familie auserkoren: ein Lehrer „im Sabbatical“, der inzwischen auf ungeklärte Weise in seinem Bauland verschwunden ist. Und nun klettern eben Heinars Frau Petra, ihr Vater Kurt und ein paar Freunde wacker im Bauschutt herum. Und müssen aufpassen, dass sie sich nicht die glänzenden Edel-Anzüge und Reifröcke (Kostüme: Julia Dietrich) zerreißen, während sie den Fall zu rekonstruieren versuchen.

Er verschwand in dem Tempel, den er selbst gebaut hat

Im Grunde hätte Heinar ja nur auf seine Gattin hören müssen, der Natali Seelig einen wunderbar treffsicheren Landhauseifer verleiht. „Entscheid’ dich für die Fertigteilversion von deinem Leben / ist schnell gebaut / und keine bösen Überraschungen / das ist am End’ des Tages das Gesündere“, weiß sie. Heinar wollte aber leider gleichermaßen hoch hinaus und tief hinein in die (Architektur-) Geschichte der Menschheit: Er musste mit dem Haus gleich noch sein komplettes Ich, das Leben als solches und die ganze „Gesellschaft neu denken“. Kein Wunder, dass der überforderte Pädagoge unter sträflicher Vernachlässigung von Frau und zwischenzeitlich geborenem Kind manisch an einem antiken Tempel zu bauen begann, den er nie fertigstellen konnte und für den er immer neue Säulengänge und Labyrinthe entwarf, bis er auf Nimmerwiedersehen in ihnen verschwand.

Kurzum: Ferdinand Schmalz erweist sich einmal mehr als Meister des großen Gesellschaftssymbols. Wie etwa in seinen Stücken „Am Beispiel der Butter“ oder „Der thermale Widerstand“, die anhand einer Provinzmolkerei die komplette realkapitalistische Ökonomie beziehungsweise in einem Kurbad den omnipräsenten Selbstoptimierungsimperativ auffächerten, darf auch die Eigenheim-Metapher breit ausgedeutet werden. Linn Reusse berichtet etwa in einem großartigen Auftritt als zickig-konkurrierende Petra-Freundin Christina, wie sie an den Design-Standards fürs eigene Leben scheitert. Ihr deprimierendes Fazit: „Das Glück ist eine Baustelle, die sich niemals zu Ende bringen lässt“. Da nützt es logischerweise gar nichts, dass Edgar Eckert als Gatte Thomas zu bedenken gibt, man müsse nur „aus den Ruinen lernen“. Bernd Moss philosophiert als Hausfreund und Insektenfeind Markus unterdessen über Stadt und Land, Kultur und Natur, Wildnis und Zivilisation, wobei er en passant ein äußerst würdevolles Bremsen-Opfer abgibt. Harald Baumgartner grantelt als Petra-Vater Kurt in angemessener Intensität den Generationskonflikt herbei, indem er wiederholt durchblicken lässt, dass er sich eigentlich einen anderen Schwiegersohn gewünscht hätte als den Bau-Maniac Heinar. Und dass sich zum tagesaktuellen Nachdenken über Innen und Außen, über „die autochthone Landbevölkerung“ und die fremden „Städter“, kaum etwas besser eignet als die Eigenheim-Metapher, liegt sowieso auf der Hand.

Philipp Arnold und seinem Team gelingt hier die kongeniale Ur-Inszenierung eines tollen Stückes, weil der junge Regisseur dem Anspielungsreichtum Raum gibt, ohne ihn durch enge Bebilderungen zu verzwergen. Wie die DT-Schauspieler in ihren Kostümen, die augenscheinlich schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel und also – historisch gesprochen – größer sind als sie selbst, durch die zeitlosen Baukrater und Sinn-Labyrinthe klettern, das hebt den Abend konzeptionell wohltuend übers alltägliche Uraufführungsgeschäft hinaus. Hinzu kommt, dass Arnold und die Akteure sehr genau in den Text hineingelauscht haben. Dass sie – was bei Weitem nicht jeder Schmalz-Inszenierung gelingt – den spezifischen Sprachwitz dieses 1985 in Graz geborenen Autors mit großer Präzision herausarbeiten – und dabei völlig unangestrengt wirken.

weitere Vorstellungen am 7. und 20. März

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