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Gesicht zeigen: Roger Willemsen (1955-2016).

© picture alliance / dpa

Zum Tod von Roger Willemsen: Auch die heile Welt hat ihren Knacks

Das Fernsehen hat ihn geboren, es hat ihn nicht gebrochen. Jetzt ist der Schriftsteller, Moderator und Intellektuelle Roger Willemsen 60-jährig an Krebs gestorben.

Von Gregor Dotzauer

Willemsen. In den Augen der breiten Öffentlichkeit war das eine Marke. Mit seinem Namen bürgte er für einen bildungsbürgerlichen Anspruch, dem man sich bedenkenlos überlassen konnte, und mit seiner zur Hyperaktivität neigenden Präsenz verkörperte er einen Typus des Intellektuellen, der über die mitreißende Doppelbegabung von Schreiben und Reden verfügte – beides im Zweifel so komplex, wie es das jeweilige Thema erfordert. Das Publikum folgte ihm vertrauensvoll. Seine Bücher Bestseller, seine Veranstaltungstourneen ausverkauft: Roger Willemsen verstand sich auf die kulturelle Zirkusnummer.

Das Fernsehen hatte ihn geboren und gelehrt, dass man sein Gesicht zeigen muss, um Erfolg zu haben. 1991 begann er beim Bezahlsender Premiere mit seiner Live-Talkshow „0137“, die es auf über 600 Sendungen brachte. Die Gespräche, die er darin mit prominenten und weniger prominenten Zeitgenossen führte, gingen so in die Tiefe, dass sie auch transkribiert und nachgelesen noch beispielhaft für die Kunst des Interviews waren. Vier Jahre lang, von 1994 bis 1998, moderierte er danach „Willemsens Woche“ im ZDF - mit seinem Freund, dem kleinwüchsigen, an der Glasknochenkrankheit leidenden Pianisten Michel Petrucciani, über den er auch eine Dokumentation drehte. Nie hat das Fernsehen in so kurzer Zeit mehr für den Jazz getan. Überhaupt war er ein Musikkenner, dem zwischen dem alten Europa, dem Orient und der Neuen Musik nichts fremd war.

Sein Blick kam von der Seite. Er war nicht glatt und beschönigend. Und wurde von Jahr zu Jahr radikaler

Wer ihn nicht schon zuvor als politisch denkenden Kopf erlebt hatte, musste spätestens hier feststellen, dass er neben all dem Charme, den er Gästen wie Maruschka Detmers entgegenbringen konnte, auch ein unerbittlicher Frager sein konnte. Denkwürdig seine rhetorische Hinrichtung von Helmut Markwort, der gerade mit dem Magazin „Focus“ auf den Markt gekommen war und auf Willemsens Schärfe nicht gefasst war. Dieser Mann hatte offenbar viele Seiten, die nicht im weichgespült Telegenen aufgehen wollten. Und so wusste Willemsen schon früh, dass er mit dem Fernsehen und seinem Geschwätz nicht untergehen wollte. Es bildete die Voraussetzung seiner einzigartigen Karriere. Es war, so gern er sich in Talkshows präsentierte, aber auch die Last, die ihn als Schriftsteller beschwerte. Weil er ganz aus der medialen Mitte der Republik herausschrieb und von den potentesten Redaktionen eingeladen wurde, bemerkten vielleicht nur die Wenigsten, dass sein Blick von der Seite kam. Da war nichts glatt und beschönigend, es wurde sogar von Jahr zu Jahr radikaler in der Genauigkeit der Wahrnehmung. „Alles dunkelt nach oder bleicht aus“, schrieb er in seinem Erinnerungsbuch „Der Knacks“. „Alles bricht und vergeht, alles ändert Farbe oder Aroma, und nur im Spott nennt man die Welt eine ,heile Welt’, wohl wissend: Auch sie hat ihren Knacks. Der Knacks: Im Sog der Verluste ist er der Sog.“

Diese Erkenntnis kam nicht zuletzt von seinen Reisen durch die Welt. Von Kindersoldaten bis zu den Gefangenen von Guantánamo gab es nichts, was er nicht gesehen hatte, und das Geld, das er verdient hatte, gab ihm die Freiheit zu reisen – und es auch für wohltätige Zwecke einzusetzen. Wenn man das englische Idiom vom „burning the candle at both ends“ auf ihn anwenden würde, dann war es ein ganzer Saal von Kronleuchtern, den er abfackelte. Als Autor, Filmemacher, Moderator und Medienkleinunternehmer war er so unermüdlich wie unstetet: jemand, der sie Schnelligkeit seines Denkens mit allem, was ihm zur Verfügung stand, überholen wollte – schon im Sprechen.

In gewisser Weise war Willemsen, 1955 in Bonn als Sohn eines Kunsthistorikers und einer Kunstsachverständigen geboren, ein Spätzünder. Noch in der Schule war er ein zweifelhafter Kandidat, der dann doch eine Abiturrede hielt, die in dem schönen Materialienband enthalten ist, den Insa Wilke im vergangen Jahr zu Willemsens 60. Geburtstag herausgab. Auch als Universitätsgermanist, der über Robert Musil promoviert hatte, befand er sich noch in einer Art Latenzphase. Zwar schrieb er schon, oft schneidend linke Texte, aber die Türen hatten sich ihm noch nicht geöffnet.

Zu seinen Büchern gehört ein Roman namens „Kleine Lichter", der mit Franka Potente auch verfilmt wurde, eine Sammlung von Notizen, die Peter Handke erröten lassen könnte („Momentum“), und ein ganzer Stapel von Reiseerzählungen („Die Enden der Welt“), darunter auch ein brillanter Text zu dem mit seinem Freund Ralf Tooten entstandenen Fotoband „Bangkok Noir“, in dem er hellsichtig über die Erfahrung von Fremdheit und die trügerischen Reize des Exotischen nachdenkt. Zuletzt veröffentlichte er die Reportage „Das Hohe Haus“ über sein Jahr auf der Besuchertribüne des Bundestags.

Im vergangenen August sagte er auf einmal alle Verpflichtungen ab, nachdem bei ihm eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Er hat sich davon nicht mehr erholt. Am Montag ist er ihr 60-jährig erlegen. Jetzt, in der Sekunde seines Todes, ist es zu früh, endgültig Bilanz zu ziehen. Doch wenn er in die Zeit, die ihm zur Verfügung stand, auch mehr hineinpackte, als ihm guttat, hat er hat damit mehr zuwege gebracht, als es andere in drei Leben schaffen würden.

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