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Zeichen an der Wand. Das Ensemble von „Berlin DNA“.

© Dorothea Tuch

„Berlin DNA“ im HAU: Auf den Straßen von Kreuzberg

Ein rauer, ehrlicher Ton: Der Regisseur, Schauspieler und Musiker Tamer Yigit auf der Suche nach der „Berlin DNA“ im HAU.

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Die Kreuzberger Nächte waren lang, die Bands hießen CPS oder Islamic Force. Pioniere des Berliner Hip-Hop, prägende Einflüsse für den Regisseur, Schauspieler und Musiker Tamer Yigit. Von Islamic Force gab es diese Single, A-Seite: „My Melodie“, B-Seite; „Istanbul“, Anfang der 90er erschienen. „Meine Melodie“ hieß auch das erste abendfüllende Stück, das Yigit am HAU inszeniert hat, lange her. Maxim und Boe B., die Gründer von Islamic Force, sind einen frühen Tod gestorben, geblieben ist nur die Erinnerung. An eine Zeit des Aufbruchs, an die eigenen Demo- Tapes, die im Studio in der Boxhagener Straße mit Musikerfreund Volkan T. entstanden und zum MC in den Knast geschmuggelt werden mussten. Oder an den Sound der Spielkarten, die im Café des Vaters so heftig auf den Tisch geschlagen wurden, dass es im Keller klang wie harte Beats. Berlin hat viele Melodien.

Von alldem erzählt Yigit in seinem jüngsten Stück „Berlin DNA“ am HAU, dem ersten nach einigen Jahren Theaterabstinenz. Dem Regisseur geht’s darin nicht um eine Verklärung der wilden Jugend. Street Credibility? Klar, das Leben fand auf den Kreuzberger Straßen statt. Aber Yigit bricht immer wieder ironisch mit den Mythen. Was bei der eigenen Herkunft beginnt: zur Welt gekommen nicht etwa im Urban-Beton, sondern in einem katholischen Krankenhaus in Tempelhof, schöner Bezirk eigentlich. Und später, da war er Mitglied der „Terror Organisation Kreuzberg“, die von der „Ad Al-Bert- Straße“ aus loszog, um jungen Männern mit kurz geschorenen Haaren auf die Fresse zu hauen. Obwohl das tatsächlich nicht alles Nazis waren, man hätte eigentlich zwischen den Subkulturen differenzieren müssen, und verflucht, „manche haben halt Haarausfall“. Nachher ist man immer klüger.

„Berlin DNA“ ist kein autobiografisches Stück, aber spürbar durchpulst von gelebter Erfahrung. Es spielt mit Splittern von Anekdoten, Identitäten, Gleichzeitigkeiten. Der Bruch ist Programm. Als Referenz wird Walter Ruttmanns Klassiker „Berlin – Sinfonie der Großstadt“ genannt, was durchaus Sinn ergibt. Schließlich baut auch dieser Abend ein Mosaik aus Geschichten und Momentaufnahmen, aus Sounds und Samples, Härte und Poesie. Polyfon, energetisch, mitreißend. Befeuert von E-Gitarre und Saz, oszillierend zwischen Metal und türkischen Balladen, die Yigit mit Valentina Bellanova, Marwan Soufi sowie dem Schlagzeuger Johann Christoph Maass performt.

Mehr Wehmut als Wut

Im Zentrum stehen dabei drei nicht- professionelle, hervorragende Spielerinnen, die ihre eigenen Prägungen in diese „Berlin DNA“ eingebracht haben: Aylin Shorty Bugur, Nilay Bugur und Semra Kartal. Die bewegen sich rastlos zwischen metallenen Spinden auf Rollen (Bühne: Nele Ahrens), die nicht zuletzt für die tausend Berliner Türen stehen, die alle gleich aussehen, hinter denen sich aber tausend verschiedene Schicksale ereignen – Nilay, die Polizistin ist, benutzt das Bild einmal. Ihre rotzig hingeworfenen Einsatzbeschreibungen zwischen Absurdität und Angst sind überhaupt eine Wucht.

Yigit lässt die Perspektive der Gesetzeshüterin mit den Erzählungen einer Graffiti-Sprayerin aus dem Underground crashen, einer „Writerin“, die ausdrücklich nicht mit Street Artists verwechselt werden will („Street Art ist für Weiße!“). Auch das ist Hip-Hop. „Ich sehe meine Pieces an den Häuserfassaden, nächste Woche ist Gerichtstermin“, sagt sie. „Das Leben wegwerfen für ein paar hässliche Kleckse an der Wand?“, hält die Polizistin dagegen. Der Ton in diesem Stück ist rau, ehrlich, lyrisch, nie aufgesetzt. Manchmal erinnert das an Yigits frühere Arbeit „Ein Warngedicht“, die mit Jugendlichen entstand und einer bornierten Gesellschaft die möglichen Folgen ihrer Ausschlüsse vorspiegelte. Allerdings mischt sich nun in „Berlin DNA“ mehr Wehmut als Wut in den Erzählstrom. Aus vielen Wunden sind mittlerweile Narben geworden.

Das Stück erhebt dabei nie den Anspruch, ein universell anschlussfähiges Berlin-Gefühl auf die Bühne zu bringen. Der Sound ist ein sehr eigener. So dissonant wie harmonisch, so tragisch wie komisch. Das Zuhören lohnt sich.

nächste Vorstellungen: 9. und 10. April, 20 Uhr im HAU 2

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