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Diese Tür war offen. Manfred G. Burgheim, Autor von „Besitz ist überbewertet“, auf dem Christus-Friedhof in Mariendorf.

© Mike Wolff

Krimi von M. G. Burgheim: Auf leisen Sohlen

Manfred G. Burgheim hat den ungewöhnlichen Berliner Krimi "Besitz wird überbewertet" geschrieben. Seitdem kann er auch selbst mit Dietrichen umgehen.

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Alle Jahre wieder – kommt die Einbruchszeit. Zwischen den Jahren haben Gauner Hochsaison: Während sich die meisten Familien an besinnlichen Zusammenkünften versuchen, stehen viele Wohnungen leer. „Die Tür aufzukriegen, ist simpel“, sagt Manfred G. Burgheim und zieht ein Set Dietriche aus der Jackentasche. „Ein bisschen üben, Gefühl für den Mechanismus entwickeln, dann knackt man fast jedes Schloss.“

Burgheim ist kein Einbrecher, obwohl er, mit Jacke, Mütze, Handschuhen angetan, auch als Langfinger eine gute Figur machen würde. Die Kleidung ist gegen die Kälte, die auf dem Christus-Friedhof in Mariendorf herrscht, und die Dietriche sind Überbleibsel der Recherche. Als Schriftsteller muss er schließlich wissen, wovon er schreibt. „Besitz wird überbewertet“ heißt sein jüngster Roman.

Der Titel könnte auch das Motto des Protagonisten sein: Alfie hat das Studium geschmissen und steigt notgedrungen ins Familiengeschäft ein. Zusammen mit seinen Brüdern Jupp und Robbser sowie seinem Vater Karlheinz verschafft er sich Zutritt zu fremden Häusern und erleichtert deren Bewohner um ihre weltliche Habe. Und die tragikomische Geschichte endet dann eben genau hier: zwischen den Bäumen, Blumen und Grabsteinen am Mariendorfer Damm, wo eine der Hauptfiguren ihre letzte Ruhe findet.

Die Verbrecherfamilie im Krimi wohnt in Tempelhof

Manfred G. Burgheim selbst wohnt nicht weit entfernt. Er hat seit 1996 in mehreren Kiezen gelebt, aber erst diese Umgebung ist dem gebürtigen Hessen zur zweiten Heimat geworden. Seine Verbrecherfamilie hat er im nahen Tempelhof angesiedelt. Überhaupt steckt viel Berlin im Buch: Straßen, Plätze, ganze Stadtviertel finden sich detailliert verewigt. „Dabei glaube ich nicht, dass die Handlung nur hier spielen kann“, sagt er. „Ich hatte zum Beispiel auch mit dem Ruhrgebiet geliebäugelt. Es gibt eine Stadt nahe der holländischen Grenze, die hält den Spitzenwert der Einbruchsstatistik.“

Das Thema interessiert ihn schon lange. Wie auch die Idee, „einen Krimi zu schreiben, aber eben nicht aus der üblichen Perspektive des Kommissars“. Ein Krimi im klassischen Sinne ist es allerdings gar nicht geworden: „Ich habe einige Ansätze versucht“, sagt Burgheim, „bis ich Figuren gefunden hatte, die mich auch interessiert haben.“

So kreist der Text nun eher um die familiäre Dynamik als um die Hatz von Ordnungshütern auf Kleinkriminelle. Besonders für Hauptfigur Alfie ist die Polizei meist das kleinste Problem: Er sucht seinen Platz neben den grobschlächtigen Geschwistern, steht zwischen zwei Frauen und dann verschwindet auch noch der Vater. Die Suche nach ihm erstreckt sich über die knapp 250 Seiten, doch auch dieser Erzählstrang entwickelt sich nicht zur komplexen Rätseljagd mit spektakulärer Auflösung. Er ist vielmehr die Aufarbeitung einer gescheiterten Ehe – melancholisch und reich an Zwischentönen.

Auch der Autor selbst ist, seinen gewaltigen Koteletten zum Trotz, kein Mann großer Worte. Burgheim spricht leise beim Spaziergang zwischen den Grabplatten. Für jede Antwort nimmt er sich einige Sekunden Bedenkzeit, misstraut der schnellen Erwiderung wie der naheliegenden Pointe. Wie ein Dieb, der unbemerkt bleiben will – und ganz anders als die Performer auf Berliner Lesebühnen, die er gerne besucht. Dabei ist „Besitz wird überbewertet“ durchaus ein lustiges Buch. Allerdings mit subtilem Humor. Das komische Schreiben musste der Autor sich erst erobern: Sein erster Roman über eine zunehmend rechtsextreme Rockgruppe, „Future Pop“, liest sich vergleichsweise ernst. Hat er deshalb 15 Jahre bis zur Veröffentlichung des zweiten Buches gebraucht? „Es ist ja ein ganz anderes Thema“, sagt er, „außerdem habe ich lange an einem Projekt gearbeitet, aus dem am Schluss doch nichts geworden ist.“

Als Musiker spielte M.G. Burgheim in verschiedenen Bands

Diese Tür war offen. Manfred G. Burgheim, Autor von „Besitz ist überbewertet“, auf dem Christus-Friedhof in Mariendorf.

© Mike Wolff

Schriftstellerei ist eben ein mühsames Geschäft – und fordert Disziplin und Hingabe. Für seinen „Einbrecher-Roman“ hat Burgheim unter anderem eine Menge Polizeiakten gelesen. Wenn es geht, sitzt er täglich von 9 bis 13 Uhr am Schreibtisch und macht sich Notizen für den Verlauf. Das Konzept wirft er meist wieder über den Haufen: Wenn er das richtige Personal erfunden hat, entwickelt es ein Eigenleben, dem er gerne nachgibt. „Das finde ich unheimlich spannend“, sagt Burgheim, „es zeigt etwas darüber, wie das Gehirn funktioniert.“ Oft merke er erst mittendrin, dass er bestimmte Wendungen unbewusst bereits angelegt habe, oft entstehe das Gefühl, die Figuren wüssten mehr als ihr Schöpfer.

So war es auch bei den drei Panzerknacker-Brüdern: Statt der chaotisch-rasanten Verliererstory, die der Klappentext unverdrossen preist, entfaltet sich ein geruhsam-nachdenklicher Plot. Am eindringlichsten gelingt die Liebesgeschichte zwischen Alfie und Julia, einer Täuscherin, die der Held bei einem misslungenen Einbruch kennenlernt. Obwohl er eine Freundin hat, ist Alfie sofort fasziniert von der Frau, die einer demenzkranken alten Dame vorschwindelt, sie wäre ihre Tochter, und so bei ihr Unterschlupf findet. Die Nebenhandlung ist bezeichnend für Burgheims Schreiben: Ihre Zusammenfassung liest sich schlicht wie ein irrwitziger Einfall. Tatsächlich aber macht der Autor eine feinsinnige Episode über berührend-verquere Fürsorge daraus.

Alfies und Julias Geschichte kommt im fertigen Buch zu kurz. „Ich habe einen zweiten Teil angefangen“, sagt Burgheim, „aber jetzt schreibe ich doch erst einmal etwas ganz anderes.“ Sich selbst überraschen, das sei ihm wichtig, um mit vollem Eifer bei der Sache zu sein. Unverhoffte Wendungen weist auch seine Biografie auf: Der Künstler, der inzwischen als Englischlehrer arbeitet, war ursprünglich in einer ganz anderen Sparte tätig. Als Musiker gründete er mehrere Bands, sang und spielte mit Bass und Bratsche Thrash-Metal und Indietronica. Als Autor hingegen steht er nicht so gern im Rampenlicht, seine Lesungen ergänzt er deshalb meist mit Musik. Auch die Figuren in seinen Texten sind popkulturell gebildet, definieren sich teilweise über Songs und Comics. So fachsimpeln Alfie und Julia über Catwoman und ereifern sich über die schrecklich missratene Verfilmung. „Das passt gut für die beiden“, sagt Burgheim, „denn die echte Catwoman-Figur aus den Comics, Selina Kyle, ist ja auch eine spannende Frau. Und außerdem Einbrecherin.“

M. G. Burgheim: „Besitz wird überbewertet – ein Einbrecher-Roman“, Fischer Verlag, 256 S., 13,99 €. Lesung im Rahmen des Abends „Verstörender Sex“, präsentiert vom Berliner Whisky- und Poesieclub, am 23. Dezember um 20.30 Uhr im Ex’n’Pop, Potsdamer Str. 157, Schöneberg.

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