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AUF Schlag: Email und Emaille

Rainer Moritz staunt über die Selbstreinigungskräfte der Sprache

Ich bin Spezialist für die deutsche Rechtschreibung, war doch deren Geschichte einst einer meiner Prüfungsschwerpunkte im germanistischen Staatsexamen. Kaum hat man solche ungeliebten Nischen besetzt, ist man ein gefragter Mann. Mehrfach wurde ich in der Vergangenheit an meinen Arbeitsplätzen per Akklamation zum Rechtschreibbeauftragten gewählt – da gab es zuletzt einiges zu tun! – und darf mich deshalb auch im Tagesspiegel zu Orthografiefragen äußern. Keine Angst, zu den Regelungen der neuen, gemäßigten oder revidierten Schreibung, diesem Lieblingsfeld aller beckmessernden Oberlehrer, sage ich nichts; stattdessen will ich von den positiven Wirkungen sprechen, die die moderne Technologie auf die Ausdifferenzierung der Rechtschreibung ausübt.

Es geht um das schöne, aus dem Französischen stammende Substantiv „Email“, das eine Schmelzglasur auf Tassen, Vasen oder Fliesen bezeichnet. Seit jeher konkurrierte dieses mit der weiblichen Form „Emaille“. Beide Schreibungen liefen parallel, wobei im 18. und 19. Jahrhundert ein leichtes Übergewicht der „Email“-Schreibung zu konstatieren ist. Etwa in Adalbert Stifters Erzählung „Feldblumen“, wo sich der herrliche Satz „Höher hängt in dem Laubwerk das blaue Email des Himmels“ findet. Jetzt freilich, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, scheint sich das zu ändern; wir befinden uns in einer historischen Umbruchphase, in der sich die kompliziertere „Emaille“-Schreibung durchzusetzen beginnt.

Ein paar Beispiele: In Funny van Dannens Prosa „Zurück im Paradies“ stoßen wir auf eine Tischdecke, „auf der ein paar Emailletassen standen“, und in Miriam Mandelkows Übersetzung von Martha Gellhorns Novellen „Paare“ weist eine fein gearbeitete Maiglöckchenbrosche Blätter aus „blassestgrüner Emaille“ auf. Nur Frau Mandelkows ältere Kollegin Caroline Vollmann beharrt in ihrer Neuübertragung von Joris-Karl Huysmans' „A rebours“ auf der bedrohten Schreibung und lässt den dekadenten Helden Des Esseintes vor einem „Emailschild in himmelblauen Lettern“ innehalten – bei einem Text aus dem 19. Jahrhundert durchaus angemessen.

Der Grund für diese Verschiebung liegt auf der Hand: Seitdem sogar meine Mutter dazu übergegangen ist, elektronische Post an ihre lieben Kinder zu versenden, ist das Wort „Email“ bzw. „E-Mail“ (so die Duden-Vorschrift) fester Bestandteil unseres Alltagsvokabulars. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die unsichtbare Hand der Sprache ans Werk ging und die Schreibung „Email“ für „Glasur“ aus dem Verkehr zog. Ist diese unbewusste Lenkung unserer Rechtschreibung nicht ein staunenswerter Vorgang? Vielleicht hätte man sich vor ein paar Jahren alle Rechtschreibkommissionen und Ministerbeschlüsse sparen und auf Selbstreinigung setzen sollen.

Rainer Moritz

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