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Kultur: Auferstanden aus Archiven

Vor fünf Jahren wurde das 1999 in Kiew entdeckte Archiv der Singakademie nach Berlin zurückgegeben, und mittlerweile ist absehbar, dass das Konvolut von über 5000 Partituren vor allem das Bild eines Komponisten entscheidend verändert hat. Galt der zweitälteste Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel bis dato vor allem als Verfasser kühner Klavierwerke und Sinfonien, rehabilitierten ihn die Singakademie-Bestände als eminenten Komponisten geistlicher Musik, der die Brücke zwischen den Passionen seines Vaters und Konzertsaaloratorien wie Haydns „Schöpfung“ schlug.

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Vor fünf Jahren wurde das 1999 in Kiew entdeckte Archiv der Singakademie nach Berlin zurückgegeben, und mittlerweile ist absehbar, dass das Konvolut von über 5000 Partituren vor allem das Bild eines Komponisten entscheidend verändert hat. Galt der zweitälteste Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel bis dato vor allem als Verfasser kühner Klavierwerke und Sinfonien, rehabilitierten ihn die Singakademie-Bestände als eminenten Komponisten geistlicher Musik, der die Brücke zwischen den Passionen seines Vaters und Konzertsaaloratorien wie Haydns „Schöpfung“ schlug. Allein 21 bislang unbekannte Passionswerke fanden sich unter den circa 400 Carl-Philipp-Titeln des Archivs, inzwischen hat Joshard Daus , der ehemalige Leiter der Singakademie, drei von ihnen auf CD vorgelegt. Auch wenn sich Daus und die Singakademie getrennt haben, macht der Chorleiter dennoch mit seinem Carl-Philipp-Projekt weiter: Am Karfreitag erlebt nach Johannes, Markus und Matthäus eine Lukas-Passion im Kammermusiksaal ihre Erstaufführung, wiederum mit Daus’ Europa-Chorakademie .

Dass ausgerechnet die Singakademie selbst in Konkurrenz zu diesem Projekt tritt, ist wohl eher unbeabsichtigt: Unter seinem neuen Leiter Kai-Uwe Jirka präsentiert der Hauptchor, verstärkt durch den Herrenchor des Staats- und Domchors und die Kammersymphonie Berlin, in der Gethsemane-Kirche in Prenzlauer Berg (Karfreitag, 18 Uhr, freier Eintritt) eine andere Trouvaille: Das 1835 uraufgeführte Oratorium „Des Heilands letzte Stunden“ genoss im 19.Jahrhundert einige Popularität, teilte dann aber das Schicksal nahezu aller Werke Spohrs und wurde vergessen. Zu Unrecht? Spohrs zwischen Klassik und Romantik angesiedelte Kammermusik und seine unbedingt wiederaufführenswerten Sinfonien weisen ihn als einen der innovativen Komponisten seiner Zeit aus, der das Pech hatte, von der Nachfolgegeneration eines Mendelssohn und Schumann in den Schatten gestellt zu werden. Die Website der Singakademie wirbt damit, dass Spohrs chromatische Orchestrierung schon auf die Tonsprache Richard Wagners vorausweise, und legt damit auch den Berliner Opernfreunden, die in diesem Jahr auf ihren karfreitäglichen „Parsifal“ verzichten müssen, einen Köder aus.

Jörg Königsdorf

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