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Kultur: Auslassungen und Augenblicke

Zartes Debüt aus Argentinien: Ariel Rotters „B.Aires – Solo por hoy“ erzählt vom Jungsein in der großen Krise

Irgendwann sitzen Morón, der arbeitslose Jungfilmregisseur, und Aili, die vor lauter Mopedkurierfahrerei vielleicht schon aufgehörte Malerin, am Hang über der Stadt und gucken auf die Flugzeuge in der Nacht. Sie haben sich ein bisschen ineinander verliebt, aber noch ist alles Reden. Über damals, als man Kind war zum Beispiel, nicht besonders glückliches Kind. Und Schweigen. Und Weiterreden. Und wieder Schweigen. Und dann eben nicht der erste große Kuss, sondern das erste kleine Kussversäumen.

Wegen solcher Szenen wächst einem dieser Film, der betont nichts von sich her macht, bald ans Herz. Oder wegen dieser: Morón, beileibe nicht die Hauptfigur dieser Fünfpersonengeschichte, treibt sich wieder mal mit seiner Videokamera durch die Stadt und fragt die Leute nach dem, was sie für das Wichtigste im Leben halten. Arbeit, Geld, Kinder, Familie, heißen die Antworten, aber dann sagt eine alte Frau: „Wenn ich das wüsste, wäre alles einfacher. Aber weniger lustig.“ Schnitt, und anschließend zeigt die Kamera ein paar lange Sekunden nur Morón, wie er die Frau ansieht, stumm. Und fast selig ist vor Überraschung und Schweigen.

Auslassungen also. Augenblicke, in denen das Geschehen, was für ein Geschehen, zum Stillstand kommt. Ein Spiel mit der Zeit, ein Spiel auf Zeit, Montag bis Freitag im Buenos Aires des Jahres 2000, fünf immer noch ziemlich junge Leute spielen mit der Zeit. Sie wollen Regisseur, Schauspieler, Malerin werden oder weit weg, aufs Land oder nach Paris. Sie träumen vom besseren Leben, weit weg vom Moped-Job, weit weg von der Großküche, den Baustellen oder Hotels, wo sie Teppichböden mit monströsen Maschinen desinfizieren. Und haben doch hoffentlich noch nicht ausgeträumt vor lauter Malocherei, so fertig wie sie scheinen mit allem und mit sich selber.

Dieses Buenos Aires ist noch eines vor der großen Krise, vor der Anarchie, vorm Staatsbankrott. Es schlittert erst hinein – und wirkt dabei ungemein europäisch. So wie die fünf, die da in der WG zusammenwohnen, sehr zeitweise und meistens sehr nebeneinander her. Studenten ohne Studium sind sie, mit Jobs oder gerade mal wieder rausgekantet, langsam geht’s bergab auf der großen Leiter. Und wollen es doch nicht wahrhaben. Schließlich ist man jung, und irgendeine Zukunft muss es doch geben da in der Glitzerstadt, hinterm Flughafenzaun oder vielleicht sogar in jemandes Armen.

Zärtlich, komisch, melancholisch ist „B.Aires – Solo por hoy“, das Erstlingswerk des 31-jährigen Ariel Rotter – entstanden als unabhängige Studentenproduktion der Universidad del Cine, die schon so ungewöhnliche Filme wie „Moebius“ (1996) und „Mala Epoca“ (1998) hervorgebracht hat. Erzählt seine Geschichten, was für Geschichten, wunderbar entspannt und bringt sie zum heiteren, absurden, schmerzhaften, beglückenden oder auch seltsam leeren Ende. Mal sprudeln die improvisierten Dialoge nur so dahin wie im Home Movie, dann wieder kommt ein improvisiertes Schweigen dazwischen, wie jenes zwischen Aili und Morón, die sich ganz leise immer tiefer ineinander verlieben. Werden sie sich küssen eines anderen Abends? So viel Zeit.

Hackersche Höfe (OmU), Kant (OmU)

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