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Kultur: Barbara Gowdy, die Artenschützerin, schlüpft in Elefantenseelen

Die kanadische Autorin Barbara Gowdy hat sich in ihren Erzählungen immer wieder als Artenschützerin von Sonderlingen erwiesen. Familienhöllen im amerikanischen Suburbia und mehrfach Ausgegrenzte finden bei ihr literarische Obhut.

Die kanadische Autorin Barbara Gowdy hat sich in ihren Erzählungen immer wieder als Artenschützerin von Sonderlingen erwiesen. Familienhöllen im amerikanischen Suburbia und mehrfach Ausgegrenzte finden bei ihr literarische Obhut. Nun sind es Elefanten, eine akut bedrohte Spezies. Als Erzähler-Standort kann tierisches Terrain riskant sein. Das musste kürzlich Paul Auster erleben, der die Erzählperspektive seines jüngsten Romans in eine Hundeseele verlegte. Gowdy gibt sich erst gar keine Mühe, etwaige Zweifel an Tieren als Romanhelden zu zerstreuen. Schon die geographische Skizze der "Domäne" im Inneren der Buchdeckel, das Glossar der Elefantensprache, Stammbäume von Elefanten-Familien oder Namen wie "Sie-Schützt", "Sie-Belabert-und-Belabert", "Matsch" oder "Dattelbett" strapazieren des Lesers Geduld. Auch mit dem tierischen Personal hat sie offenbar kaum Probleme: "Ich finde es nicht schwerer, mich in Elefanten als in Männer zu versetzen."

Vielleicht hat es Gowdys großartige Intuitionsleistung provoziert, dass Elefanten matriarchalisch organisiert sind. Mit kluger Empathie taucht sie ins Elefanten-Bewusstsein ein. Unzählige zoologische Fachbücher hat sie gelesen und monatelang in Ostafrika geforscht. Die Fakten stimmen alle, sagt sie. Sie habe dem Verhalten der Elefanten Bewußtsein und Gefühle unterlegt, deren Existenz die Biologen schon bewiesen hätten. Fiktiv sind natürlich die Kultur, die Geschichte der Elefantenstämme, ihr Genesis-Mythos, die Trauerrituale oder die Legende vom weißen Knochen. So sind auf der Basis von exakt recherchiertem Tierverhalten so differenzierte Charaktere wie Matsch, Dattelbett und Langschatten entstanden, die länger im Gedächtnis haften bleiben als viele Helden mit Menschenseele.

Und das, obwohl das Buch fast penetrant politisch korrekt ist. Vernunftbegabte, humane Matriarchinnen leiten ordentliche Elefantenfamilien. Alle sind strikte Vegetarier, Sumpf, ein männliches Kalb, ist schwul und besonders beliebt. Die Heldin Matsch, ein Elefantenkalb, ist behindert. So weit, so anständig - und wahrscheinlich auch langweilig, wäre da nicht die höchst interessante "Elefanten-Hochkultur" und deren triebhafte Unterseite. Matsch mit dem dritten Auge erforscht als Visionärin die Zukunft und dekonstruiert Vergangenes, Langschatten entschlüsselt das Zeichensystem der Elefanten-Welt. Bei den Medizinkühen tut sich eine Homöopathin hervor (Urin als Allheilmittel!), Geruchsspezialistinnen und Fährtensucher tradieren Überlebenswissen. Und zur Brunftzeit schlingern riesige, grüne Penisse über den Wüstensand, und die einzige Frage ist, wer welcher Kuh im "Delirium" den "Kälber-Tunnel graben" darf.

In drei verzweifelten Wüstendurchquerungen suchen die Elefanten nach dem "weißen Knochen", der sie zum "sicheren Ort" führen soll, denn ihre Welt ist aus den Fugen: Habgier und Brutalität der Menschen und eine Dauer-Dürre erschüttern die verlässliche Lesart der Omen. Die Zeichen sind für den Strukturalisten Langschatten nicht mehr eindeutig lesbar, "weil er langsam den Glauben an die Zeichen verliert, da es unendlich viele" zu geben scheint. Die Protagonistinnen betrauern den Verlust zahlreicher Artgenossen, das Schwinden der alten Welt. Etwas, was Gowdy vermutlich nie beabsichtigte, ist ihr gelungen - der vollkommene Artenschutz-Roman. Nach fünfzig Seiten steckt man trotz aller Widerstände in der runzligen Elefantenhaut und verhängt für Elfenbeinjäger die Zwangslektüre. Und von der ersten Seite an ist die klare, leichte, poetische Sprache ein Genuss, so dass man bereitwillig auch die der Elefanten schluckt.Barbara Gowdy: Die weißen Knochen. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Becker und Claus Varrelmann. Verlag Antje Kunstmann, München 1999. 39,80 DM.

Christiana Engelmann

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