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Kultur: Bartlos in Berlin

Daniel Day-Lewis spricht über „Gangs of New York“

Am auffälligsten: der Kontrast. Es ist 13.19 Uhr, die Mauer aus breitschultrigen Kameramännern löst sich gerade auf, und plötzlich ist der Blick frei auf den Mann, der Bill, the Butcher war. Bill, the Butcher: dieser bestialische, vorzivilisatorische Schlächter aus Martin Scorseses „Gangs of New York“, der wie der wilde Stier Jake La Motta, wie der Taxifahrer Travis Bickle und wie Tommy De Vito, der cholerische Goodfella, schon jetzt zu den unvergesslichen Scorsese-Charakteren zählt. Doch Bill, the Butcher ist nicht mehr Bill, the Butcher! Die tausend Augen des vollen Pressesaals sehen das Produkt einer schauspielerischen Rückverwandlung: Die Filmblutspritzer sind ab, der geschwungene Schnauzbart ist ab, selbst die schmierigen, langen Haare sind ab. Auch das Glasauge mit dem Adler drauf, scheint, soweit das auf die Entfernung zu erkennen ist, nicht mehr an seinem Platz. Statt dessen leuchten zwei sehr, sehr blaue, sehr echte Augen. Eine gewisse Verwirrung ist spürbar im Saal.

Der Schauspieler Daniel Day-Lewis streift genüsslich seine rotschwarz-karierte Jacke ab, setzt sich, streichelt sich ein paar Mal über die frisch gewienerte Glatze und lächelt die Presse an. Ist es das verschmitzte Lächeln dessen, der einen Überraschungseffekt auskosten darf? Sieht so aus. Dann beginnt Day-Lewis zu erzählen. Und plötzlich ist auch dieses miese Kauderwelsch aus dem New Yorker Five Point-Slum verschwunden. Was wir hören, ist astreines very British English. Ja, sagt Day-Lewis, der Mann aus London, wir hatten da als Quelle dieses Wörterbuch mit dem Titel „Schurkenlexikon“, das der Polizeipräsident damals, in den 1860ern, herausgegeben hatte, damit seine Leute die Sprache der Kriminellen überhaupt verstehen konnten. Sowas hilft natürlich.

Dann steht ein Herr auf und stellt die nicht ganz höfliche, aber doch hochinteressante Frage, die allen auf den Lippen gelegen haben muss: Warum die Glatze? Ob es einen bestimmten Grund gebe oder es nur der Air-Condition diene? Daniel Day-Lewis lacht laut und antwortet: „Das ist mein Beitrag für L’Oréal.“ Die Schampoo-Firma L’Oréal ist nicht nur in diesem Jahr einer der Hauptsponsoren des Festivals. Der Mann ist zweifellos gut gelaunt.

Manchmal aber zeigen sich ein paar Wolken auf seiner Sonnenschein-Miene. Dann nämlich, wenn ein Journalist nach seinem Privatleben fragt. Zum Beispiel, was er die ganze Zeit über gemacht habe, seit seinem letzten Film „The Boxer“ von 1997. Oder warum er die Schauspielerei unterbrochen habe, um in Florenz eine Lehre als Schuster zu machen. „Ich habe mich entschieden, darüber nicht zu reden“, sagt Day-Lewis nur. Seine sonst so wunderbar geschwungenen Lippen wirken auf einmal ziemlich schmal.

Julian Hanich

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