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Alfred Bauer leitete die Berlinale von 1951 bis 1976.

© Foto: Deutsche Kinemathek/Heinz-Köster-Archiv

Berlinale-Gründungsdirektor Alfred Bauer: Auch andere Festival-Akteure sind NS-belastet

Eine neue Studie hält es für wahrscheinlich, dass die Senatsverwaltung von Alfred Bauers NS-Belastung wusste. Das Berlinale-Programm soll unbelastet geblieben sein.

Berlinale-Gründungsdirektor Alfred Bauer war ein einflussreicher NS-Filmfunktionär, dies hat aber nicht dazu geführt, dass das Festivalprogramm der Anfangsjahre ab 1951 NS-ideologisch geprägt war. Zu diesem Schluss kommt die Berlinale-Leitung, nachdem das von ihr beauftragte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München seine erweiterte Studie zur Causa Bauer und den ersten Berlinale-Jahren vorgelegt hat.

Eine Ausnahme benennt die von Wolf-Rüdiger Knoll und Andreas Malycha verfasste Studie. Bauer, der das Festival bis 1976 leitete und „das Narrativ eines unpolitischen Festivals“ sowie des von den alliierten Westmächten gewünschten „Schaufensters der freien Welt“ im Kalten Krieg propagierte, versuchte, im ersten Festivaljahrgang einen Film von NS-Propagandaregisseur Karl Ritter ins Programm zu nehmen - ohne Nennung von dessen Namen. Die Senatsverwaltung verhinderte dies.

Die Studie stellt außerdem fest, dass es neben erklärten NS-Gegnern, Verfolgten und KZ-Überlebenden auch weitere NS-belastete Akteure im Vorfeld und in der ersten Zeit des Festivals gegeben habe. Namentlich werden unter anderem Oswald Cammann, Hans Cürlis und Günter Schwarz genannt.

Der Fall Alfred Bauer, der die Berlinale bis 1976 leitete, als Charismatiker galt und hoch respektiert war, hatte für Aufregung und Empörung gesorgt, als das Wochenmagazin „Die Zeit“ im Januar 2020 aufdeckte, dass die Nähe des Berlinale-Gründungsdirektors Alfred Bauer zum NS-Regime und seine Rolle in der Reichsfilmintendanz weit größer war als bis dahin bekannt.

Bauer spielte eine erhebliche Rolle bei der Produktionsplanung, war NSDAP-Mitglied und tauschte sich unmittelbar mit Propagandaminister Joseph Goebbels aus. Die von der Deutschen Kinemathek und ihren Mitarbeitern erarbeiteten Festival-Chroniken hatten über Jahrzehnte ein anderes Bild gezeichnet und Bauers Mitgliedschaft in der Reichsfilmintendanz nur am Rande erwähnt, ohne dessen NS-Engagement näher zu beleuchten. Und das, obwohl eine filmhistorische Studie das Zeugnis für den „eifrigen SA-Mann“ Bauer bereits 1973 erwähnt hatte.

„Ein eifriger SA-Mann“, hatte die Gauleitung Mainfranken Bauer bescheinigt. In der 2020 fertig vorliegenden 64-seitigen Bauer-Monographie von Kinematheks-Mitarbeiter Rolf Aurich blieb dies unerwähnt, die Veröffentlichung wurde zurückgezogen.

Da die Kinemathek, die nach wie vor die Retrospektive und die Hommage-Reihe der Berlinale mit ausrichtet, sich kompromittiert hatte, gab die Berlinale beim unabhängigen IfZ eine Vorstudie in Auftrag. Diese kam zu dem Ergebnis, dass der „Zeit“-Bericht zutrifft. Bauer hatte während seines Entnazifierungsverfahrens mit Halbwahrheiten und Falschaussagen die eigene Bedeutung für die NS-Kulturpolitik verschleiert und verharmlost, sich als unpolitisch stilisiert.

Die Berlinale-Geschäftsführung gab daraufhin eine erweiterte Studie in Auftrag. Das Führungsduo, Mariette Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian, wollte wissen, ob Bauers NS-Verstrickungen „Auswirkungen auf die Gestaltung des Festivals hatten“, wie es jetzt in einer Mitteilung heißt. Der Fall Bauer gehöre „zu den Forschungslücken in der historischen Aufarbeitung der Nachkriegs-Filmbranche“. Die Studie bestätige erneut, „wie wichtig es ist, immer wieder kritisch die eigene Geschichte zu reflektieren“, so Geschäftsführerin Rissenbeek und der künstlerische Leiter Chatrian.

Zu den Kernaussagen der Studie gehört auch, dass die Senatsverwaltung für Volksbildung 1960 Gerüchten zu Bauers NS-Belastung nachging. Etliche Dokumente zu diesem Vorgang sind nicht mehr auffindbar, dennoch konnte der mehrmonatige Vorgang in Teilen rekonstruiert werden. Auf ein Schreiben der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit hin habe die Verwaltung unter Senator Tiburtius Unterlagen aus dem Berlin Document Center geprüft; zu personellen Konsequenzen kam es nicht. Man könne davon ausgehen, dass die Senatsverwaltung über Bauers NSDAP-Mitgliedschaft Kenntnis erhielt, so die Studie.

Ein bedeutender Fund: der persönliche Nachlass Alfred Bauers

Und auch, wenn nicht abschließend geklärt werden konnte, ob das Wissen über Bauers NS-Verstrickung an die spätere Kulturverwaltung weitergegeben wurde, heißt es seitens des IfZ: „Völlig überraschend dürften die Enthüllungen über die nationalsozialistische Vergangenheit Bauers für die spätere Senatsverwaltung jedenfalls nicht gekommen sein.“ 

Die Studie, die dem ersten Berlinale-Chef einen eigenmächtigen, von der Senatsverwaltung wiederholt kritisierten Arbeitsstil bescheinigt, aber auch das „hervorragende“ Organisationstalent des „bestens vernetzten Filmfunktionärs“ hervorhebt, betont darüber hinaus zweierlei. Zum einen, dass die Ressourcen des IfZ nicht ausreichten, um den bedeutenden Fund großer Teile des persönlichen Bauer-Nachlasses (14.000 Bananenkisten, davon lagern 4000 in Hannover) genauer zu erforschen.

Zum anderen stehe es noch aus, „die aus der NS-Zeit stammenden Netzwerke und deren Kontinuität bei der Vorbereitung und Durchführung der Internationalen Filmfestspiele“ von 1951 bis 1976 nachzuzeichnen. Ein klarer Auftrag an die deutsche Filmforschung, auch und gerade mit Blick auf die eigenen Versäumnisse - nicht nur bei den Chroniken der Berlinale. Für den 2. November plant die Berlinale ein Panel zur Studie. Neben den Verfassern sprechen und diskutieren IfZ-Direktor Andreas Wirsching, die Filmemacher:innen Annekatrin Hendel und Felix Moeller sowie Stefanie Mathilde Frank, Vize-Chefin der Theaterwissenschaftlichen Sammlung des Kölner Instituts für Medienkultur und Theater.

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