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Juli 1959: Alfred Bauer begleitet Sophia Loren zum Berlinale-Filmball.

© Getty Images

Update

Berliner Filmfestspiele: Erster Berlinale-Leiter Alfred Bauer war hochrangiger Nazi

Bauer arbeitete offenbar für Goebbels' Reichsfilmintendanz. In den Festival-Annalen war dies nie Thema. Die Berlinale will den Alfred-Bauer-Preis aussetzen.

Gerade hat die neue Doppelspitze der Berlinale ihr Wettbewerbsprogramm für die 70. Jubiläumsausgabe des Festivals bekanntgegeben, da enthüllt die Wochenzeitung "Die Zeit" eine bislang unbekannte Geschichte aus den Anfängen der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Deren erster Leiter, Alfred Bauer, war offenbar ein hochrangiger Funktionär der NS-Filmbürokratie.

"Die Zeit" ist Hinweisen nachgegangen, denen zufolge Bauer, der die Berlinale von 1951 bis 1976 leitete, in der Reichsfilmintendanz gearbeitet haben soll. Joseph Goebbels hatte sie 1942 eingerichtet. Recherchen im Berliner Landesarchiv bestätigten diese Hinweisen. Alfred Bauer kontrollierte und überwachte die personelle Seite der laufenden Spielfilmproduktion des "Dritten Reichs", also den Einsatz der Schauspieler, der Regisseure, der Kameramänner und des sonstigen Filmpersonals. Er war nach Informationen des Blattes auch an der Entscheidung beteiligt, welche Filmschaffenden vom Kriegseinsatz freigestellt wurden und wer in die Rüstungsindustrie oder an die Front musste.

Bisher war lediglich bekannt, dass Bauer in der Reichsfilmkammer tätig war. So ist es knapp in der vom Festival und der Deutschen Kinemathek herausgegebenen Berlinale-Chronik des Filmhistorikers Wolfgang Jacobsen vermerkt, die 2000 zum 50. Jubiläum der Filmfestspiele erschien. Er sei ab 1942 für die Universum Film AG (Ufa) tätig gewesen, heißt es dort außerdem.

Bauer soll Mitglied in zahlreichen nationalsozialistischen Organisationen gewesen sein. Unter anderem gehörte er der NSDAP an, der SA und dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund. "Die Zeit" zitiert außerdem eine "Bewertung" der GAU-Leitung Mainfranken, in der es heißt Bauer sei ein „eifriger SA-Mann“.

Die Berlinale reagierte schnell: Die Festivalgeschichte wird aufgearbeitet

Das Festival reagierte schnell auf den Artikel. "Angesichts dieser neuen Erkenntnisse wird die Berlinale den ,Silberner Bär Alfred Bauer Preis' aussetzen, heißt es in einer Erklärung vom Mittwochabend. Bauers herausgehobene Position im Nationalsozialismus sei dem Festival bislang nicht bekannt gewesen. "Wir begrüßen die Recherche und die Veröffentlichung in der ,Zeit' und greifen die neue Informationslage auf, um die Festivalgeschichte mit externer fachwissenschaftlicher Unterstützung aufzuarbeiten", heißt es weiter.

Den jedes Jahr vergebenen Alfred-Bauer-Preis für Verdienste um neue Perspektiven in der Filmkunst haben unter anderem Nora Fingscheidt (2019 für "Systemsprenger"), Agnieszka Holland, Lav Diaz, Alain Resnais und Andres Veiel gewonnen.

Nach dem Krieg hatte Bauer seine Vergangenheit systematisch verschleiert. So behauptete er, er sei 1943 aus der NSDAP ausgetreten und schon 1938 aus der SA. Dafür ließen sich laut "Zeit" jedoch keine Belege finden, auch stritt er gegenüber den Entnazifizierungsbehörden seine Tätigkeit in der Reichsfilmintendanz ab. Er erhielt zwei Jahre Berufsverbot, eine Zeit, in der er sich als "inneren Widerständler und widerwilligen SA-Mann" stilisierte, wie "Zeit"-Filmredakteurin Katja Nicodemus schreibt.

Brisant: Die Berlinale verleiht jährlich den Alfred-Bauer-Preis

Sie weist in der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe des Blatts außerdem darauf hin, dass auch in einer für Februar von der Kinemathek, der Ernst-Reuter-Stiftung und dem Bebra-Verlag geplanten Publikation des Filmhistorikers Rolf Aurich zu Alfred Bauer und den Berlinale-Anfängen die falschen Angaben des Gründungsdirektors beim Entnazifizierungsverfahren nicht erwähnt werden. Aus dem Dokument der GAU-Leitung Mainfranken wird zwar zitiert, aber nicht der Satz "Er war ein eifriger SA-Mann". Das Buch sollte eigentlich am 24. Februar in Berlin, also während der Berlinale, vorgestellt werden.

Nun wurde die Veranstaltung jedoch abgesagt, auch die Veröffentlichung der Publikation wurde verschoben: Wegen der "in der ,Zeit' vorgelegten Interpretation der Quellen über die Rolle Alfred Bauers in der nationalsozialistischen Filmpolitik", heißt es in einer Erklärung der Herausgeber. Diese Dokumente seien auch von Rolf Aurich herangezogen worden, sie würden nun "einer vertieften Bewertung" unterzogen. Deren Ergebnisse sollen veröffentlich und zu einem späteren Zeitpunkt in einer Diskussionsveranstaltung vorgestellt werden. (Tsp)

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