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Bildhafte, einfache Sprache: Zur Wiederentdeckung des amerikanischen Schriftstellers Stephen Crane
Er nahm die literarische Moderne vorweg, Paul Auster hat gerade eine monumentale Biografie über ihn verfasst, und der Pendragon Verlag lässt viele seiner Bücher ins Deutsche übersetzen.
Stand:
Der Begriff „Fin de Siècle“ fand erstmals 1886 Erwähnung in der französischen Zeitschrift „Le Décadent“. Im folgenden Jahrzehnt war er im deutschen Sprachraum in aller Munde, spätestens nachdem der Österreicher Hermann Bahr 1891 einen Novellenband so nannte. Gegen Ende jenes Jahrhunderts hatte sich der gängige Fortschrittsglaube überholt, Aufmerksamkeit und Kreativität galten dem Verfall und bald dem Untergang der abendländischen Kultur.
Nietzsche war ein wichtiger Stichwortgeber, Thomas Mann schrieb mit seinen „Buddenbrooks“ 1901 eine epische Verfallsgeschichte. Zuvor frönten schon Joris-Karl Huysmans mit „Gegen den Strich“ (1884) und Oscar Wilde mit „Das Bildnis des Dorian Gray“ (1891) hemmungslos der Dekadenz. Die Welt war im Wandel und das auch jenseits des Atlantik. Der Hauptvertreter des Fin de Siècle war hier der Schriftsteller, Lyriker und Journalist Stephen Crane, einer der großen Klassiker der amerikanischen Literatur und gleichzeitig einer ihrer wohl bekanntesten Unbekannten.
Dem amerikanischen Romancier Paul Auster zufolge war Stephen Crane, „für seine Zeit so radikal, dass man ihn heute als ersten amerikanischen Vertreter der Moderne betrachten kann, als den Mann, der unseren Blick auf die Welt durch die Linse des geschriebenen Worts von Grund auf verändert hat.“ Das klingt sehr volltönig, doch hat sich Auster jahrelang ins Werk Cranes vertieft und eine monumentale Biografie des 1871 geborenen Sohns strenggläubiger Methodisten geschrieben. „In Flammen“ enthält überdies gründliche und anregende Analysen seiner Romane, Erzählungen, Gedichte und sonstigen Schriften.
Er hat unseren Blick auf die Welt durch die Linse des geschriebenen Worts von Grund auf verändert.
Paul Auster über Stephen Crane
Cranes berühmtestes Werk – und in den USA Schulliteratur – ist der Bestseller „Die rote Tapferkeitsmedaille“, der den amerikanischen Bürgerkrieg aus der Perspektive einfacher Soldaten schildert, von ihren Empfindungen und Nöten spricht und zudem den militärischen Ehrbegriff der Kriegsparteien grundlegend in Frage stellt. Crane, der nie Soldat war, schrieb den Roman im Alter vo 22 Jahren. Eigene Erfahrungen sammelte er erst später, als Berichterstatter etwa im Türkisch-Griechischen Krieg.
Damit spricht er jeder Forderung nach Authentizität Hohn, wie sie heute bisweilen erhoben wird. Was an Crane, der allerdings die Slums, die in anderen Texten vorkommen, genauestens kannte, besticht, ist die Unmittelbarkeit seiner Prosa. Deren Plastizität entfaltet in einer Zeit, in der das Medium Film gerade entdeckt wird, eine mitreißende filmische Wirkung. Cranes späterer Freund Joseph Conrad bewundert die „bildhafte Einfachheit“ seiner Sprache.
Es fügt sich wunderbar, dass sich der Pendragon Verlag seit einigen Jahren einer neuen Edition der Werke Cranes widmet. Bereits erschienen sind neben „Die rote Tapferkeitsmedaille“ die Erzählbände „Die tristen Tage von Coney Island“, „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ – inklusive dem meisterhaften, schonungslosen und erschütternden Kurzroman „Maggie, ein Mädchen von der Straße“, der einen Emile Zola ziemlich alt aussehen lässt – und zuletzt „Das Monster und andere Geschichten“. Dieser Band enthält die 1897 entstandene Novelle „Das Monster“, deren komplexe Darstellung der Auswüchse des amerikanischen Rassismus – im Norden, nicht in den Südstaaten – schlicht überwältigt.
An Drastik lässt es Crane nicht mangeln. Er erzählt von einem Brand, aus dem der schwarze Angestellte Henry Johnson, tragischer Held der Geschichte, den Sohn seines Arbeitgebers rettet und dabei buchstäblich das Gesicht verliert.
Aber nicht nur der radikale Inhalt beeindruckt, sondern auch die fragmentarische Erzählweise, die den seinerzeit gängigen Realismus und Naturalismus weit hinter sich lässt und die literarische Moderne vorwegnimmt, zu deren Protagonisten neben Gertrude Stein, Djuna Barnes, John Dos Passos und William Faulkner auch Ernest Hemingway zählt, einer der literarischen Erben des an Tuberkulose erkrankten und im Jahr 1900 mit 28 Jahren viel zu früh verstorbenen Genies.
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