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Kultur: Blei statt Blowjob

Die Rache der Frau: „Monster“ mit Charlize Theron und Christina Ricci im Berlinale-Wettbewerb

Wer erwägt, mit jemandem wie Aileen Sex zu haben, der sucht ein Opfer. Aileen ist aufgedunsen, schlecht ernährt, Alkoholikerin. Eine Ruine. Wenn sie an der Straße steht, halten schmierige Familienväter, Klemmies, Brutalos, Abschaum. Sie verdienen – bis auf einen – kein Mitleid. Diese Typen, die die Kamera meist durch die Windschutzscheibe ihrer Autos filmt. Die Typen, die für 30 Dollar eine schnelle Nummer wollen und anfangen darüber zu verhandeln, ob der Blowjob darin schon enthalten ist . Und die statt des Blowjobs ein paar Kugeln verpasst bekommen. Denn das Opfer ist kein Opfer. Das Opfer ist ein Serienkiller.

Die wahre Aileen wurde seit ihrem achten Lebensjahr vergewaltigt und ging mit 13 auf den Strich. Eine Frau, die von Anfang an in der Gosse war. Eine Frau, die erlebte, was es heißt „Nigger Of The World“ zu sein. Patty Jenkins hat die echte Aileen vor ihrer Hinrichtung, 2002, kennen gelernt. Sie baut aus ihrer Geschichte eine nachvollziehbare, psychologisch dichte Entwicklung, die natürlich ein klares Ziel verfolgt: Verständnis für das „Monster“, das in der normalen Gesellschaft keine Chance hat, nie eine hatte. Verständnis für das Monster, das irgendwann sogar Geschmack am Töten findet. Das wird mit der gebotenen Parteilichkeit erreicht. Und durch eine lesbische Liebesgeschichte, deren Gegenpart der zarten Selby, die stets latent delinquent wirkende Christina Ricci spielt.

Die Sensation des Films aber ist natürlich Charlize Theron. Eine Frau, die für gewöhnlich von Mode- und Herrenmagazinen in „Sexy People“-Listen geführt wird. Eine Frau von 28 Jahren und blendender Schönheit, Model seit dem 14. Lebensjahr. Aber an ihre – vielen – Rollen erinnert man sich nicht so genau. Theron hat mit Woody Allen, Robert Redford, Tom Hanks, oder Johnny Depp gedreht, aber meist als schmückendes Beiwerk. Vielleicht wäre sie irgendwann ein Bond-Girl geworden. Diesen Weg hat sie mit „Monster“ erfolgreich verhindert. Theron hat nicht nur, dem „Method Acting“ gemäße, monströse Anstrengungen unternommen, sich nahezu unkenntlich gefressen und schminken lassen – was ein körperlich schmerzhafter Anblick ist. Sie bringt auch persönliche Voraussetzungen mit: Ihre Mutter erschoss den gewalttätigen Vater in Notwehr, Theron engagiert sich in ihrer Heimat Südafrika schon länger für Vergewaltigungsopfer.

Zu sagen, es sei ein Genuss, diesen Film zu sehen, wäre falsch. Er ist eine Strapaze. Denn „Monster“ zeigt eine Version der Wirklichkeit, die die meisten Menschen nicht kennen und darum umso leichtfertiger beurteilen. Theron spielt die Aileen, die glaubt „mit Gott im Reinen“ zu sein, mit beängstigender Perfektion: das fiese Gebiss, die grimmige Mimik, die burschikose Körpersprache, die vermeintlich stark sein soll, aber nur ungelenk wirkt. Mag man Theron bislang für ein karrierebewusstes L’Oréal-Gesicht gehalten haben, so hat sie hier ihr Coming Out als Schauspielerin. Und – wir sind mitten in der „Awards Season“ – ihr einen ähnlichen Erfolg vorauszusagen wie vor zwei Jahren Halle Berry mit dem ebenfalls monströsen „Monster’s Ball“ – das erfordert keine prophetische Gabe. Auch wenn ihr diesen Film wahrscheinlich nicht sehen werdet, ihr Familienväter, Fettsäcke und Kinderschänder da draußen in euren Autos – denkt daran: Es stehen mehr Aileens an der Straße, als ihr denkt.

Heute (Sonntag), 22.45 Uhr, Berlinale Palast, Montag, 9.2., 9.30 und 21 Uhr Royal-Palast, Sonntag 15.2., 22.30 International.

Ralph Geisenhanslüke

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