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Verdreht: Spulenelemente

Salzburger Festspiele: Handke verdreht Becketts "Letztes Band". Man mag Handkes Text für höchst riskant, ja anmaßend halten, aber die direkte szenische Konfrontation tut ihm entschieden unrecht, ja sie banalisiert beide Seiten.

Herr Krapp ist ein unappetitlicher alter Mann. Er lebt allein in seiner Bude und nährt sich von Schnaps und Bananen, deren Schalen er achtlos auf den Boden schmeißt. Sicher lässt er nie eine Putzfrau herein, und wer weiß, ob er je duscht und seine Wäsche wechselt. Mit seiner ebenso trübsinnigen Vergangenheit – er war erfolgloser Schriftsteller und hatte mehrere gescheiterte Frauengeschichten – verbindet ihn ein Tonbandgerät. Misslaunig hört er alte Bänder ab, auf denen er über Jahrzehnte jeweils an seinem Geburtstag das abgelaufene Jahr protokolliert hat.

Herr Krapp, man kennt ihn zur Genüge, ist der Held des Monodramas „Das letzte Band“, in dem sich Samuel Beckett 1958, weltberühmt und 52 Jahre alt, mit grimmigem Humor selbst porträtierte. Im Salzburger Landestheater, ein halbes Jahrhundert danach, geschah jezt Unerhörtes: Herr Krapp bekommt Frauenbesuch.

Der Schauspieler André Jung, sichtlich geduscht in elegantem grauem Anzug, playboyhaft offenem Hemd und geputzten braunen Schuhen, hat sein Programm wie ein Sachbearbeiter, der abends noch mal ins Büro gegangen ist, in der seltsam aseptischen, nahezu humorfreien Regie Jossi Wielers abgespult. Da dreht sich zu Spieluhrklängen der offene, neonbeleuchtete, penibel saubere Bürokasten von Anja Rabes, und von links stakst ein berückendes Mannequin herein, enge weiße Hose, enger, prall gefüllter rosa Pullover, das Haar mit Stirnband zum Pferdeschwanz gebändigt – der Männertraum der fünfziger Jahre.

„Mein Spiel jetzt“, beginnt Nina Kunzendorf in hellem, fein ironischem Boulevardton. „Dein Spiel, es ist gespielt, Herr Krapp.“ Da ist er aber verdattert, der Mann, ganz und gar wehrlos, wie einer, der von der Ehefrau beim Onanieren – das hat er eben diskret, als wäre ihm Becketts Symbolik peinlich, mit einer Banane angedeutet – oder beim Pornogucken erwischt wird. 45 Minuten lang lässt er sich von der Schönen, der großen, wenn auch schnell verflossenen Liebe aus seinen Bändern, ohne ein Gegenwort die Leviten lesen: seine narzisstische Unfähigkeit zur Zweisamkeit, sein „Extraschwarzsehen“, sein imperialer Gestus des „Zeichenmeisters“, der um sich einen „Tempel des Nichtendenwollenden Deutens und Bedeutens“ errichtet habe.

Bei so viel geschwollener, semiotisch aufgeputzter Intellektualität reicht es Krapp dann doch. Er reißt das Tonband von der Spule, knäult es zusammen und drapiert sich den Bandsalat als Narrenkrone auf dem Kopf. Am Ende geht er einfach ab und lässt die leergeredete Frau an seinem Schreibtisch sitzen.

Was war das? War da was? Der lyrische, ursprünglich auf Französisch geschriebene Frauenmonolog stammt von Peter Handke, heißt „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ und wird vom Dichter als „Echo“ verstanden, als „sekundäres Stück“ nach dem „primären, essentiellen und spielerischen“ von Beckett. Im Textbuch (bei Suhrkamp erschienen) kommt es als leichthin skizzierte Halluzination daher. Ein römisches Grabmal mit den Statuen eines Ehepaars, die Frau belebt sich plötzlich wundersam und beginnt zu sprechen. Bei Jossi Wieler bleiben davon zwei Screens im Hintergrund, auf denen sich ein Videokünstler in Nouvelle-Vague-Manier schwarzweiß verwirklicht: Krapp beim Rasieren, Krapp beim BH-Aufknöpfen, Krapp beim Tippen.

Man mag Handkes Text für höchst riskant, ja anmaßend halten – setzt er sich nicht mit Krapp-Beckett gleich und übt er nicht durch die Maske der Frau feministische Beckett- und damit Selbstkritik? –, aber die direkte szenische Konfrontation tut ihm entschieden unrecht, ja sie banalisiert beide Seiten. Da helfen auch keine schweren Theoriegeschütze im Programmheft, das die Verbindung zu Narzissus und der zum Nachstammeln verurteilten Nymphe Echo zieht: Ihr werde hier, aha, die Stimme zurückgegeben.

Im letzten Sommer waren die beiden Monologe übrigens im Schloss Leopolds kron unverschränkt hintereinander als Lesung zu hören: Beckett vom unvergleichlichen alten Thomas Holtzmann, Handke mit allem unironischen, innigen Ernst von Sophie Semin, der französischen Ehefrau, der der Text gewidmet ist. Dabei hätte es bleiben sollen.

Andres Müry

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