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Theater: Auf ins Ungewisse

Mit Tschechows "Kirschgarten" gibt Uwe Eric Laufenberg seinen Abschied am Potsdamer Hans-Otto-Theater.

Regelrecht wütend hat Anton Tschechow darauf bestanden, dass sein 1903 schon in Phasen schwerer Erkrankung geschriebenes, im Januar 1904 uraufgeführtes Theaterstück „Der Kirschgarten“ eine Komödie sei. In Briefen und Gesprächen verteidigte er seinen Standpunkt. „Ich schreibe vom Leben“, teilte er Freunden mit. „Es ist graues, spießbürgerliches Leben. Aber es ist kein klägliches Gejammer.“ Wenn Tschechow Abschiede beschwört, die sich oft quälend lange hinziehen, öffnet er zugleich, heiter und gelassen, Aussichten auf neue, wenn auch unsichere Lebensmöglichkeiten. Uwe Eric Laufenberg, der mit dem „Kirschgarten“ die letzte Inszenierung seiner fünfjährigen erfolgreichen Intendanz am Potsdamer Hans-OttoTheater vorlegt, nimmt diese Beschwörung eines Endes und eines Anfangs auf und schreibt im Programmheft: „Deswegen werden heute noch einmal sehr alte Theatergeister herbeigerufen.“

Der Satz ist auslegbar, zwiespältig. Bewahren will Laufenberg, was es „vielleicht irgendwann“ nicht mehr geben wird. Rückzug und freundliche Einladung an die Kommenden? Die Bühne von Matthias Schaller weist ins Gestern. Mit einem geradezu trotzigen Bekenntnis zu Wirklichkeitstreue und Solidität sind die riesigen Zimmer des Gutshauses der Ranjewskaja aufgebaut. Feste Wände, wuchtige Decke, herrschaftliches Mobiliar, gläserne Schiebetüren, Kronleuchter – alles ist an seinem Platz, schafft üppige Räume, und macht die Spieler, seltsamerweise, klein. Sie verlieren sich in der Weite, der Tiefe des Bühnenbilds.

Oder ist das ungerecht? Laufenberg schwebt offenbar vor, in der Perfektion von Bürgerlichkeit das Fremde, Unwohnliche, ja Unheimliche einer gekünstelten „Heimat“ zu zeigen, die nur in der Erinnerung oder im Traum lebt, längst aus jeder Wirklichkeit herausgefallen. So führt er die Darsteller. Es ist, als läge ein feiner Nebel über diesen einst Reichen, Anspruchsvollen, Hoffnungsfreudigen, nun aber Gestrandeten. Sie wissen um das Ende, sie haben sich ergeben, nur kurz flackert Widerstand gegen das Unabänderliche auf. Der Kirschgarten blüht zwar noch in seinem letzten Frühling, ist aber längst nutzlos geworden. Und wenn der Herbst gekommen ist, hat das Gut einen neuen Besitzer, wird ausgeschlachtet, die Bäume fallen unter der Axt – alle gehen weg, irgendwohin, ins Ungewisse.

Der Schlüssel für die zurückhaltende, vorsichtige Inszenierung liegt in der Deutung der Gutsbesitzerin Ranjewskaja. Angelica Domröse, zart und schmalgliedrig, spielt sie fast leise, gebändigt, nachdenklich. Und mit anrührender Verletzlichkeit verkörpert sie ein Wesen, das sich noch nicht gefunden hat und nicht mehr finden wird.

Mal ist diese Frau, die ihr Gut nicht retten kann, ein kindlicher Trotzkopf, dann ein spätes, verwirrtes Mädchen oder das stolze, liebende Weib mit einer Neigung zur Lasterhaftigkeit. Angelica Domröse verleiht ihr eine irritierende Fremdheit bis hin zur Pose, aber stattet sie auch mit wacher Aufmerksamkeit bei denen aus, die auf ihren Schutz bauen. Geht es um die Verteidigung der Liebe gegenüber dem verstiegenen Pathos des ewigen Studenten Trofimow, zeigt Domröse eine hochschießende Leidenschaft, die jede Etikette wütend missachtet – da ist die Frau, die leben will, nichts anderes. Das andere Extrem: Bei der Nachricht vom Verkauf des Gutes lässt sie die Ranjewskaja wie unter einem Frosthauch im Sessel zusammensinken, sich in eine Decke wickeln, gefangen in Stummheit und Starre.

Laufenberg will auch die anderen Figuren aus einem tiefen Verständnis erklären. Er meidet alle Zuspitzungen, er leidet mit ihnen, trotz aller Absonderlichkeiten. Menschen kommen auf die Bühne, die gefangen sind in einer vergehenden Welt und auch mit dem brutalen Zusammenbruch ihres bisherigen Daseins keine Freiheit gewinnen werden. Das Ensemble folgt ihm in dieser Haltung sorgsam und feinfühlig, wobei sich besonders Chris Pichler als mühsam beherrschte Stieftochter Warja und Günter Rüger als uralter und dennoch würdevoller Diener Firs einprägen. Aber reicht das aus?

Die Sorge des scheidenden Intendanten, dass „Der Kirschgarten“ bald Neuerem, anderem weichen könnte, kommt eben doch aus einer schwer nachvollziehbaren Resignation. So wie jetzt in Potsdam wird das Stück ganz sicher nicht mehr gespielt werden. Tschechow, der nie ein „Greiner“ war oder ein Gefühl der Verzagtheit hervorrufen wollte, ist uns doch gerade nahe, weil er das Verflochtensein menschlicher Schicksale in unsichere Wirklichkeiten, in das Werden und Vergehen gesellschaftlicher Strukturen und ethischer Postulate einzigartig erfasst hat. Versuche, Zauber und Weisheit dieses Menschenkenners auf dem Theater zu beschwören, die einzigartige Welt seiner Figuren ins Schwingen zu bringen, gibt es doch nicht erst seit Jürgen Gosch.

Warum Laufenberg sich derart zurückhält und zu den alten Theatergeistern flüchtet, bleibt eine Frage ohne Antwort.

Wieder heute, 17., und 23. Mai

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