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Der weltberühmte Thomanerchor aus Leipzig wird von staatlicher Seite finanziell großzügig unterstützt.

© Waltraud Grubitzsch/dpa

Chorförderung in Deutschland: Gebt allen, was Knaben schon haben

Warum werden Mädchen bei der Ausbildung ihrer Stimmen nicht so gut gefördert wie Jungen? Eine Diskussionsrunde in Berlin sucht nach Antworten.

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Man wolle kein „Knabenchor-Bashing“, darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Runden Tischs einig, zu dem der Chorverband Berlin geladen hat. Gar nicht so einfach, das Thema Chancengleichheit für Mädchen und Jungen in Chören vorsichtig abzulösen von der aktuellen Diskussion um Knabenchöre, die sich gegen die Aufnahme von weiblichen Stimmen wehren. Institutionen wie der Staats- und Domchor erscheinen plötzlich als reich alimentierte patriarchale Rückzugsräume.

Tatsächlich genießen die traditionsreichen Knabenchöre eine Förderung, von der Sabine Wüsthoff, die Leiterin des Berliner Mädchenchors, nur träumen kann. Vor 33 Jahren bewusst als Pendant zum berühmten Nachbarn gegründet, fehle ihrem Ensemble bis heute eine institutionelle Absicherung, allen internationalen Preisen zum Trotz. Wüsthoff nennt die Summe von 200 000 Euro, mit der ihr Chor seine 200 aktiven Sängerinnen umfassend bilden könnte.

Im Gespräch zeigt sich schnell ein Paradox: Obwohl Knabenchöre leistungsorientiert arbeiten, singen insgesamt weit mehr Mädchen. In gemischten Chören aller Altersstufen fehlt es an männlichen Stimmen. Gleichberechtigung hieße dann, Mädchen Zugang zu Exzellenz zu verschaffen und gleichzeitig an der Basis um mehr Jungen zu werben. Um echte Vielfalt in den Chören zu ermöglichen, müsse aber noch viel mehr geschehen, als die Knabenchor-Debatte suggeriert, mahnt Thomas Hennig vom Chorverband Berlin. „Was passiert eigentlich, wenn Fanny sich als Junge fühlt und in einem Knabenchor singen will, Felix sich hingegen als Mädchen sieht und mit ihnen singen will?“

Susann Bräcklein, die als Anwältin für ihre Tochter das Recht erstritten hat, bei Knabenchören vorzusingen, saß nicht auf dem Podium, aber im Saal. Während Sabine Wüsthoff ihr dankte, wollten die anderen Diskussionsteilnehmer da nicht in vollem Umfang einstimmen. Zu deutlich wird bei Bräckleins Einwürfen, wie sehr sich die Anwältin in den persönlichen Kampf gegen eine vermeintliche staatliche Diskriminierung verstrickt hat. Nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts musste auch der Leipziger Thomanerchor die Tochter zum Vorsingen einladen. Bräcklein bat nun um Aufschub, damit ihr Kind den „Knabenchorklang“ vorher noch erlernen können. Die Aufnahmefrist ist damit verstrichen.

Doch um Mädchen dauerhaft Zugang zu Stimmbildung und Chorerfahrung auf hohem Niveau zu ermöglichen, wird es nicht ausreichen, gegen die wenigen Knabenchor-Institutionen anzurennen. Petra Merkel, Präsidentin des Chorverbands Berlin, weitet den Blick und rüstet sich zum Gang durch die Institutionen: „Es geht um Bildung und Ausgleich, das muss in den nächsten Doppelhaushalt des Senats, notfalls auch mit Interimslösungen.“ Aus dem Publikum kommt der Vorschlag, sich doch gleich für ein Lyzeum einzusetzen. Dann hätte Berlin für Mädchen, was Leipzig und Dresden Jungen bietet: eine Schule, die um die Ausbildung der Stimme kreist.

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