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75 Jahre Charlie Brown & Co.: Zehn Gründe, wieso die Peanuts zeitlos sind
Tagesspiegel-Zeichnerin Naomi Fearn hat gerade ein Buch mit Comics von Charlie Brown, Snoopy und Co. herausgegeben. Hier erklärt sie, was ihr die Peanuts bedeuten.
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Im Oktober 1950 hatten Charlie Brown, Snoopy und Co. ihren ersten Auftritt. Comiczeichnerin Naomi Fearn („Berliner Schnuppen“) hat im Reclam-Verlag das Buch „Charlie Brown für alle Lebenslagen“ herausgegeben, das in dieser Woche erscheint. Es enthält eine Auswahl der besten Strips des Zeichners Charles M. Schulz und ein Nachwort von Fearn. Hier fasst sie zusammen, warum die Peanuts zeitlos sind.
1 Charlie Browns Philosophie
Die Kinder der Peanuts sind sehr klar in ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten. Laut Charles Schulz’ Witwe Jeannie sagte er immer, dass sie alle unterschiedliche Facetten seiner Persönlichkeit abbilden. Charlie Brown die unsichere Seite, Lucy das Neunmalkluge, Besserwisserische, Linus das Philosophische und Snoopy die Kreativität, das Draufgängertum und die Souveränität, die er sich wünschte.

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Und so ist der weitschweifige Comicstrip in Wahrheit ein Destillat, was es bedeutet, Mensch zu sein, und was das Leben bereithält, so freudig, rührend und auch enttäuschend es sein kann.
Wenn man Charlie Brown über die 50 Jahre seiner Abenteuer beobachtet, drängt sich der Gedanke auf, Charlie Browns persönliche Philosophie ist am ehesten zusammengefasst in Murphys Law: „Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen.“
2 Tragischer Held
Das entscheidende Baseballspiel, das endlich gewonnen werden könnte, fällt wegen Regen aus. Aber es regnet nicht nur, es ist ein Niederschlag geradezu biblischen Ausmaßes, der den Platz flutet und die Kinder in ihren umgedrehten Regenschirmen davon paddeln lässt.
Charlie Brown hat nicht nur Pech, er hat derart epische Umstände gegen sich, dass er ins Heldentum emporgetragen wird. Dort steht er in einer Reihe mit Odysseus und Hiob, um wie letzterer resigniert und traurig dahinzusinken und sich dem Unausweichlichen zu ergeben. Bis er dann eines Morgens wieder aufsteht und dem Ganzen eine neue Chance gibt.
3 Gott und die Welt
Der Vergleich mit Hiob war Charlie Browns Zeichner Charles M. Schulz gegenwärtig. Der schüchterne Teenager aus Minnesota, in einer deutsch- und norwegisch-stämmigen Gemeinde freundlicher Protestanten aufgewachsen, wäre, wenn das Zeichnen nicht dazwischengekommen wäre, gerne Pfarrer geworden.
Seine Charaktere diskutierten über die Jahre oft theologische Fragen. Schulz brachte seine Gedanken zu Gott und der Sinnhaftigkeit des Lebens oft durch seine Figuren zum Ausdruck.
Und bei aller Gemeinheit und Selbstbezogenheit, zu der sie, wie alle Menschen, in der Lage waren und aus der sich sehr viel Humor ergab, ist es ein leises Hintergrundrauschen aus Barmherzigkeit und Vergebung, das diesem Strip seine Wärme und Tiefe gibt.
4 Jede Menge Mitgefühl
Über die Jahrzehnte hinweg fand Charles M. Schulz von organisierter Religion weg zu einem säkularen Humanismus (manche würden sagen Existentialismus) – verwurzelt in tiefem Mitgefühl den Menschen gegenüber und in seinen eigenen schmerzvollen Erfahrungen (er verlor mit 21 Jahren seine Mutter an Krebs, gerade als er im Zweiten Weltkrieg zur Armee eingezogen wurde).
Es ist dieses Mitgefühl, dieser Humanismus, der in Charlie Brown als Peanuts-Charakter am stärksten mitschwingt und ihn uns so nahebringt, egal, welcher Glaubensrichtung wir angehören.
5 Ziemlich beste Freunde
Wo Charlie Brown das Scheitern in unseren Leben spiegelt, gleicht der Beagle an seiner Seite das Schwere aus. Inspiriert von Schulz’ eigenem Hund aus Kindertagen, Sparky, verkörpert Snoopy das Gegenteil. Den Witz und die Kreativität, das Ungestüme und Mutige, im Moment leben und sich mit allen gut verstehen, bis auf ein paar Feindschaften, wie der Nachbarskatze, die aber auch hingebungsvoll gepflegt werden.

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Snoopy ist so, wie wir gerne wären. Nicht umsonst ist er der berühmteste Hund der Welt, die Figur, mit der wir die Grenzenlosigkeit unserer Kinderfantasie wiedererleben können und unsere narzisstischen Eigenschaften mit unnachahmlicher Joie-de-Vivre in Charme verwandeln.
6 Vom Leben gezeichnet
Von allen seinen Figuren, sagte Charles Schulz, findet sich am meisten von ihm in Charlie Brown wieder. Dessen Eltern sind, wie die von Schulz, Barbier und Hausfrau. Er hat Charlie seine Freude am Sport mitgegeben und den Hund an seiner Seite.
Aber mehr noch hat er Charlie von seinem Inneren mitgegeben. Charlie Brown ist in den Strips nie einfach nur ein Verlierer. Er ist der Manager seines Baseballteams und führt die Kinder an. Dennoch ist sein Blick meist auf das gerichtet, was nicht funktioniert. Er schafft es nicht, das anzuerkennen und zu feiern, was er geschafft hat.
Bei allem Erfolg, den der Zeichner hatte, identifizierte sich Schulz mit seiner Hauptfigur des ewigen Verlierers. Und das trotz einer Leserschaft von 355 Millionen Menschen in 75 Ländern und zahlreichen Comic-Preisen. Dies zeigt uns, dass das Selbstverständnis, das wir in jungen Jahren von uns selbst formen, uns ein Leben lang begleitet, egal, was danach geschehen mag.
Und vielleicht ein Nebeneffekt des Aufwachsens in einer Umgebung, die geprägt wurde von einer sehr protestantischen Tradition von Fleiß und Bescheidenheit.
7 Universelle Gefühle
Zu den universellen Gefühlen in den Peanuts Strips gehört auch Liebe, und hier ist eine Herzensangelegenheit besonders: in jungen Jahren verliebte sich Charles Schulz in der Fernkurs-Zeichenschule, in der er arbeitete, in eine der Buchhalterinnen, die rothaarige Donna Mae Wold. Auch sie verliebte sich in ihn, und so gingen sie drei Jahre miteinander aus.

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Aber ein anderer junger Mann, Al, hatte ebenfalls Gefühle für sie. Abwechselnd ging Donna mal mit dem einen, mal mit dem anderen auf Dates, und beiden war sie sehr zugetan. Im Jahr 1950, dem Jahr an dessen Ende der erste Peanuts-Strip erscheinen würde, hielt Charles um ihre Hand an, doch schließlich entschied sie sich für Al.
Charles und sie saßen auf den Stufen hinter ihrem Haus, als sie es ihm sagte. Er fuhr davon, und sie ging hinein und weinte. Nach einer halben Stunde kam er zurück. „Ich dachte, vielleicht hast Du es Dir anders überlegt.“ Sie hätte beinahe „Ja“ gesagt, doch kurze Zeit später heiratete sie Al, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbrachte.
Das kleine rothaarige Mädchen, das Charlie Brown aus der Ferne liebt und die unerreichbar bleibt, ist Schulz‘ offengelegtes Herz – für eine Leserschaft bestehend aus nur einer Person. In seinen Comicstrips errichtete er ihr ein Andenken, und somit allen, die die Wehmut und den Schmerz einer großen unerwiderten Liebe erlebt haben.
8 Alltägliche Abenteuer
Charlie Brown und die anderen Peanuts erleben auch Abenteuer, die nicht direkt aus der Biografie ihres Zeichners entspringen. Sie gehen in Sommercamps, Charlie hat einen Baseball-bedingten Nervenzusammenbruch, läuft von Zuhause fort und sie machen Ferien am Strand.
Über die Jahre fanden auch die großen historischen Ereignisse, von der Mondlandung bis zur Ermordung Kennedys und den Protesten gegen den Vietnamkrieg ihre Echos im Comicstrip. Aber immer gespiegelt in der Welt der Kinder und nicht mehr und nicht weniger wichtig als all die kleinen Erlebnisse und Geschichten, die deren Welt ausmachen.
9 Vertraute Welt
Es sind die wiederkehrenden Geschichten, die das Gerüst und die Heimat für sie und uns bilden: die Fürsorge für Snoopy und die kleinen Geschwister, die Baseball-Spiele, das Philosophieren an der Mauer, das Drachen-steigen-Lassen. Und immer wieder Charlies Versuche, den Football zu erwischen, den Lucy ihm hinhält und ihm in letzter Sekunde entzieht, um dann bei genau derselben Lucy „Psychologische Hilfe“ zu suchen. Es ist das Wiederkehrende, das uns ein warmes Gefühl von Zuhause gibt.
10 Das Glück des Sisyphus
„Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen“, schrieb Albert Camus. Dazu verdonnert, denselben Felsen immer und immer wieder den Berg hinaufzuwälzen, um dann mit anzusehen, wie er hinunterrollt, gibt Sisyphus dennoch nicht auf und wälzt den Felsen wieder herauf. Er akzeptiert mithin das Leben, wie es ist.
Und so wie Sisyphus lässt Charlie Brown in all seinem Pech und bei all seinen Rückschlägen nie die Verzweiflung gewinnen. Selbst in der dunkelsten Stunde hat der Junge mit dem Mondgesicht immer Freunde, einen erstaunlichen Hund – und Hoffnung. Das reicht. Er wird immer wieder aufstehen und versuchen, den Football zu kicken. Er gibt nie auf.
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