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Goldiges Jubiläum: Zum zehnten Mal kürt der Tagesspiegel jetzt die besten Comics des Jahres.

© Tsp

Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2021 – Barbara Buchholz‘ Favoriten

Welches sind die besten Comics des Jahres? Das fragen wir unsere Leser:innen und eine Fachjury. Heute: Die Top-5 von Tagesspiegel-Autorin Barbara Buchholz.

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren - hier eine erste Auswahl der Ergebnisse. Unter allen Einsendenden werden wertvolle Buchpakete verlost.

Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr erneut aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Christian Endres, Lara Keilbart, Rilana Kubassa, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne.

Barbara Buchholz.
Barbara Buchholz.

© Privat

Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt.

Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 23. Dezember im Tagesspiegel veröffentlicht wird.

Die Favoriten von Tagesspiegel-Autorin Barbara Buchholz

Platz 5: „Requiem“ von Albert Mitringer

Seltsame Heldenreise: Eine Szene aus „Requiem“.
Seltsame Heldenreise: Eine Szene aus „Requiem“.

© Zwerchfell

Ein schwarzweißes Bild der Verwüstung eröffnet den Comic: Ein Gebirge aus Skeletten, Geschützen, festgesteckten Pfeilen und anderem Kriegsgerät, gezeichnet in akribisch feinen schwarzen Strichen. Überhaupt ist Albert Mitringers Artwork beeindruckend: Die Zeichnungen und der Seitenaufbau sind von Mangaeinflüssen geprägt, mit zackigen Schraffuren, zersplitterten Panels. Das Lettering ist deutlich Teil der Grafik und wird etwa dazu genutzt, durch unterschiedliche Schriftarten Sprecher voneinander abzugrenzen. Die Hauptrolle in „Requiem“ spielt ein aus der Totenruhe geweckter Ritter, der als Skelett durch die Gegend irrt und versucht, herauszufinden, wer er zu Lebzeiten war. Zu diesem Zweck folgt er einer schwarzen Krähe, an die er sich zu erinnern glaubt. Diese Krähe wandert mit den Jahreszeiten und kehrt im Frühling in ihre Heimat zurück – sie wird ihn also zu seinen Ursprüngen führen, glaubt der Ritter. Auf seiner Reise bekommt er es mit einem monströsen, gehörnten Ziegendämon zu tun, und er hat plötzlich einen kleinen Jungen im Schlepptau. Nach und nach tauchen Bruchstücke der Erinnerung an sein früheres Leben auf, die als farbige, weich konturierte Passagen zwischen die schwarzweißen Seiten mit hartem Strich geschaltet sind. „Requiem“ ist eine rätselhafte Fantasyreise, die für Leser:innen nicht immer leicht zu durchschauen, aber doch beeindruckend ist.

Platz 4: „Im Winter“ von Rita Fürstenau

Eine Doppelseite aus „Im Winter“ von Rita Fürstenau.
Eine Doppelseite aus „Im Winter“ von Rita Fürstenau.

© Rotopol

Ein schönes Kleinod aus Kassel: Rotopol-Verlegerin Rita Fürstenau hat diese zur Saison passende Fabel um eine alte Katze und einen grausamen Falken gedichtet und gestaltet. Die beiden begegnen sich in einem eisigen Winterwald, der Tod kommt still und barmherzig hinzu, befreit die Katze von ihrem alten Körper und schenkt ihr den einer eleganten Eule, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Der kunstvoll geletterte Text steht unter den Bildern oder hineingesetzt, frei oder in Vignetten. Die kurzen Sätze erzählen in poetischem Ton mit durchaus grausamen Wendungen, bis sich der Kreis am Ende schließt. Der Falke bezahlt für seine Hartherzigkeit, doch deswegen triumphiert die Eule noch lange nicht. Statt Gut und Böse gibt es hier Schattierungen – und das setzt Fürstenau auch grafisch um: Gedruckt ist das Büchlein in verschiedenen Abstufungen von Schwarz und stilisierten Formen, abstrakt-spärlich bei den Landschaften aus Wald, Nachthimmel und Wind, fein gestrichelt und gemustert bei den Tierkörpern, auf einer Grundierung aus strukturierten Grautönen von hell wie Schnee bis Nachtschwarz.

Platz 3: „Das Inferno“ von Michael Meier

Held im Unterhemd: Eine Szene aus „Das Inferno“.
Held im Unterhemd: Eine Szene aus „Das Inferno“.

© Reprodukt

Michael Meier nimmt uns in seiner Dante-Adaption „Das Inferno“ mit auf einen schön anzusehenden Höllentrip. Meiers grafischer Stil, in dem die Farbflächen ohne Umrisslinien aneinanderstoßen, entwickelt zusammen mit der plakativ-stimmungsvollen Kolorierung verführerische Ästhetik. Der Dante im Comic ist ein bärtiger Typ in Unterhemd, der verpeilt durch den Wald stolpert. Im Unterholz trifft er auf einen leuchtend orangeroten Schakal, der sich ihm als Inkarnation des antiken römischen Dichters Vergil vorstellt und Dante durch die abstrus-schrecklichen Kreise der Hölle leitet, ganz wie in Alighieris Vorlage aus dem 14. Jahrhundert. Bevölkert wird die Comicversion der Hölle auch von Gestalten der Moderne: Hitler, Berlusconi oder Chris de Burgh, um nur einige zu nennen. Wer sich ein wenig vertraut macht mit Dantes Göttlicher Komödie, entdeckt Elemente und Schlüsselszenen im Comic wieder. Die Grafik, die flapsige Sprache und pointierte Komik zeugen aber von einer erfrischenden Freiheit in der Adaption. So steht „Das Inferno“ als unterhaltsamer und ästhetischer Comic ganz für sich.

Platz 2: „Auf einem Sonnenstrahl“ von Tillie Walden

Weltraumarchitektur: Eine Seite aus „Auf einem Sonnenstrahl“.
Weltraumarchitektur: Eine Seite aus „Auf einem Sonnenstrahl“.

© Reprodukt

Tillie Walden erzählt in „Auf einem Sonnenstrahl“ eine packende, emotionsgeladene Science Fiction-Abenteuer- und Liebesgeschichte in düsteren, aber kraftvollen Farben, die direkt ins Herz trifft. Waldens Strich ist weich und locker, Lichteinfall und Kontraste schaffen besondere Stimmungen und die Figuren – allesamt weiblich oder queer – sind sehr empfindsam wiedergegeben. Hauptfigur ist Mia, ein blasses, schwarzhaariges Mädchen und frisch gebackene Absolventin eines Mädcheninternats. Sie kommt neu an Bord des Raumschiffs Aktis, dessen Crew durchs All reist, um zerfallene Weltraumarchitektur zu restaurieren. Die schüchterne Kapitänin Charlotte und ihre zupackende Frau Alma, die vorlaute Jugendliche Jules und die schweigende nonbinäre Person Elliot werden zu Mias Wahlfamilie. Tillie Walden erzählt Mias Geschichte in Zeitsprüngen und legt nach und nach offen, wie sie verknüpft ist mit dem Schicksal der gesamten Crew an Bord der Aktis. Mias Suche nach ihrer verlorenen Internats-Liebe Grace führt das Team schließlich auf eine gefährliche Mission in einen abgeriegelten Teil der Galaxie, auf der jedes Mitglied mit Geistern der Vergangenheit konfrontiert wird. „Auf einem Sonnenstrahl“ ist eine abenteuerliche Geschichte über das Heranwachsen und lädt ein, sich auf den Seiten mit immer neuen Panelaufteilungen, üppigen Splashpages und pointierten Dialogen in bizarren Fantasiewelten zu verlieren.

Platz 1: „Dragman“ von Stephen Appleby

Unkonventioneller Held: Eine Szene aus „Dragman“.
Unkonventioneller Held: Eine Szene aus „Dragman“.

© Schaltzeit

Wenn August Crimp Frauenkleider trägt, kann er fliegen. Und so rettet er eines Tages – gerüstet mit blonder Perücke, Corsage und Stiefeln – das Nachbarsmädchen Cherry, das beim Spielen auf der Dachterrasse des Museumscafés über das Geländer stürzt. Die Medien feiern den flugs als „Dragman“ titulierten mysteriösen Retter. Doch dummerweise hat weder Cherry eine „Superheldenversicherung“ vorzuweisen, noch ist Crimp Mitglied im „Club der Superhelden“. Als August Crimp die Schreinerin Mary Mary kennenlernt und auf die Heirat die Geburt eines Sohnes folgt, landen die Frauenkleider ohnehin in einem Karton auf dem Dachboden. Doch dann macht eine Mordserie an trans Frauen, deren Seelen geraubt werden, Schlagzeilen – und Dragmans clevere Helferin Dog Girl überzeugt den versteckten Helden, sich trotz fehlender Legitimation wieder in die Lüfte zu schwingen. Der Cartoonist Steven Appleby zeichnet diesen Comic in dem für ihn typischen krakeligen, stricheligen, verschrobenen Stil, der bestens zu seinem zartbitteren Humor passt. Er erzählt in mehreren Zeitebenen mit Rückblicken, die in monochromen Grüntönen gehalten oder wie ein Comicheft-Faksimile aufgemacht sind. Effektvolle Wasserfarben von Nicola Sherring ergänzen die Tuschezeichnungen wunderbar. „Dragman“ ist eine vielschichtige Mischung aus schräger Superhelden-Parodie, Identitätssuche, Thriller, Beziehungsdrama und Emanzipationsgeschichte.

Barbara Buchholz

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