zum Hauptinhalt
Komposition für die Ewigkeit: Leonard Cohen bei der Arbeit an „Hallelujah“.

© Cross Cult

Gezeichnete Musikerbiografien: Die letzte Nacht von Leonard Cohen

Die Comicbiografie „Leonard Cohen - Like a Bird on a Wire“ zeigt exemplarisch, wie die Kunstform bei der Darstellung von Musik an ihre Grenzen kommt.

Gerade erscheint eine Comic-Musiker-Biografie nach der anderen: Bowie, Rolling Stones, Sex Pistols, Beatles … Und warum auch nicht? Das Leben von Musikern kann selbstverständlich Gegenstand von Comics sein, so wie jedes andere Leben auch. Oft sind Musikerleben sogar besonders interessant und wild, wie es die Leben von Künstlern bekanntlich häufig sind.

Auch Janis Joplin taucht in einer Szene von „Like a Bird on a Wire“ auf.
Auch Janis Joplin taucht in einer Szene von „Like a Bird on a Wire“ auf.

© Cross Cult

Vom abwechslungsreichen Leben seines Protagonisten profitiert auch Philippe Girard in seiner neuen Biografie des 2016 verstorbenen Poeten, Romanschriftstellers und Sängers Leonard Cohen, „Like a Bird on a Wire“ (Übersetzung Anne Bergen, Cross Cult, 120 S, 25 €).

Ausgehend von der Nacht seines Todes in Los Angeles – Cohen liegt nach einem Sturz hilflos auf dem Boden und sinniert über sein Leben – erzählt Girard in rückblickenden Anekdoten von wichtigen Episoden und von Begegnungen mit den Protagonisten von Cohens oft autobiografischen Songtexten. Einiges ist Legende: Der Blowjob von Janis Joplin im Chelsea Hotel. Produzent Phil Spector, der Cohen im Studio mit einer Schusswaffe bedroht.

Der 1934 in Montréal geborene Cohen wird als komplex, verletzlich und voller Humanismus gezeigt, hingezogen zu wahrhaftiger Liebe genauso wie zu spontanen Affären. Der frankophone Québécois Philippe Girard legt hier eine liebevolle Hommage an den anglophonen Québécois Leonard Cohen vor, eine dringend notwendige Annäherung zwischen den beiden Kulturen.

Auf dem Cover des Buches läuft Cohen an einem berühmten Deli in Montreal vorbei, mit dem Gitarrenkoffer in der Hand, rauchend; kein Star, sondern ein Poet in seinem Viertel.

Auch in Reinhard Kleists „Starman“ spielt die Musik eher eine Nebenrolle

Cohen musste sich jedoch nach dem Tod des Vaters erst einmal vom Familien-Business lösen, wurde Dichter, Romanschriftsteller und Gelegenheitsmusiker. Die Musik rückte erst spät ins Zentrum seiner kreativen Energie, nachdem andere mit seinen Kompositionen Erfolg hatten. Es fehlt natürlich eine Menge biografischer Stoff – das Buch hat nur 120 Seiten. Girard muss fokussieren, sonst bliebe ihm weniger als eine Seite pro Lied, Gedicht und Roman aus einer jahrzehntelangen Karriere.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die größte Leerstelle ist der eigentliche Kern der Sache: Die Musik. Comics kommen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Musik grafisch überzeugend darzustellen.

In Reinhard Kleists neuer Bowie-Biografie „Starman“ (Carlsen) bekommt man durch den Begriff Vaudeville eine Idee von Bowies ursprünglichem Stil, aber was das Neue seiner Ziggy Stardust-Inkarnation ausmacht, erschließt sich eher aus den Kostümen, der Mode und der bisexuellen Selbstfindung des Künstlers als durch Hinweise auf die Musik.

Das Titelbild von „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“.
Das Titelbild von „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“.

© Carlsen

Die Vignetten des Comic-Sammelbands von Céka über die Rolling Stones (bahoe books) tragen wenig über das hinaus bei, was schon die jeweils einführenden Prosa-Texte erläutert haben. Immerhin gibt es den Versuch, den Geheimnissen von Keith Richards‘ Gitarrenspiel – fünf Saiten mit Open Tuning – auf die Spur zu kommen.

Das Titelbild von „The Rolling Stones - Das Comic!“
Das Titelbild von „The Rolling Stones - Das Comic!“

© bahoe books

Auch in der an Ben Katchor erinnernden Biografie des sozialistischen Sängers Ernst Busch (avant Verlag) unternehmen Jochen Voit und Sophia Hirsch immerhin den Versuch zu beschreiben, was an Buschs Stimme so besonders war – er kann auch die Konsonanten ausdehnen, vor allem natürlich durch das Rollen des R. Aber das muss man natürlich hören! Deshalb ist es vor allem Buschs spannendes Leben in verschiedenen Ländern, unter verschiedenen Regimen, das den Comic spannend hält.

Das Titelbild von „Ernst Busch - Der letzte Prolet“.
Das Titelbild von „Ernst Busch - Der letzte Prolet“.

© avant

Und so ist es auch in Girards Cohen-Biografie. Die „musical directors“ spielen hier keine Rolle, obwohl sie verhinderten, dass Cohens Lieder im Einerlei eines Singer-Songwriter-Gitarrengeklampfes und -gezupfes hängen blieben. Denn seine markant tiefe Stimme hat einen deutlich begrenzten Umfang und seine Stücke variieren kaum einmal das Tempo.

Wobei: Cohens Komposition für die Ewigkeit, „Hallelujah“, an der er jahrelang gesessen hat, ist in den reduzierten Versionen von John Cale (Piano) und Jeff Buckley (E-Gitarre) um Längen besser als im überproduzierten Original.

Leonard Cohen auf dem Titelbild von „Like a Bird on a Wire“.
Leonard Cohen auf dem Titelbild von „Like a Bird on a Wire“.

© Cross Cult

Es hilft den Comic-Biografen, wenn die Musiker auch schreiben, denn Texte kann man reproduzieren, auch ausschnittweise, man kann ihrer Genese nachspüren oder sie textlich und bildlich interpretieren. Bei Girard kontrastieren die hellen Farben und die Ligne claire, mit denen er seinen Protagonisten luftig und cool in Szene setzt, effektiv mit Cohens meist melancholisch-traurigen und düsteren Texten und Melodien und dem Auf und Ab seines Lebens.

Der Tod ist ein ständiger Begleiter. Aber ganz geht der Kontrast nicht auf; die Erzählung und die einfachen, aber naturalistischen Zeichnungen hätten durchaus noch etwas mehr eigene Poesie vertragen können.

Thomas Greven

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false