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Liebeserklärung an das Genre: Eine Seite aus dem zweiten Band von „Black Hammer“.

© Splitter

„Black Hammer“ von Autor Jeff Lemire: Durch Raum und Zeit geschleudert

Jeff Lemire erzählt in „Black Hammer“ eine Superheldengeschichte als vielschichtiges Drama. Ab Donnerstag ist der Autor auf Deutschlandbesuch.

Es braucht schon einen Helden, um jeden Morgen die Schweine zu füttern, die Kühe zu melken und die Ställe auszumisten. Auch wenn Abraham Slam anders darüber denken dürfte. Er war einmal ein echter Held: ein Superheld in Spiral City. Aber seit er und seine Kollegen vor zehn Jahren beim Kampf gegen den Erzfeind Anti-Gott durch Raum und Zeit geschleudert wurden, sitzen sie in einem Kaff fest.

Rockwood erinnert an den Mittleren Westen der USA, irgendwann in den 1950ern: eine trostlose, biedere Kleinstadt und in der Nähe eine öde Farm, auf der Slam Schweine füttert und Kühe melkt, zusammen mit den anderen Superheldinnen und -helden: Golden Girl und Barbalien, Lady Dragonfly und Colonel Weird sowie dem Androiden Talky-Walky.

Mit ihren Superkräften können sie hier wenig anfangen. Die Bewohner von Rockwood beobachten diese seltsam zusammengewürfelte Familie ohnehin schon misstrauisch. Und fliehen können die Helden wegen eines mysteriösen Kraftfelds, das die Stadt umgibt, auch nicht. Sie sind gestrandet.

Gefallene Helden

Beste Voraussetzungen also für einen der besten Superhelden-Comics der vergangenen Jahre: „Black Hammer“, dessen zweiter Band gerade in Deutschland bei Splitter erschienen ist, handelt von gefallenen Helden, die mit ihrem eintönigen Farmleben hadern und deren vermeintlich heroische Abenteuer nur mehr eine melancholische Erinnerung sind.

Diese Mixtur hat der Reihe in den USA den wichtigen Eisner-Award als beste neue Serie eingebracht. In Deutschland ist sie für den Max-und-Moritz-Preis nominiert, der in dieser Woche auf dem Internationalen Comic-Salon in Erlangen vergeben wird. Autor Jeff Lemire ist einer der Stargäste auf dem wichtigsten Branchentreffen im deutschsprachigen Raum. Danach tritt er am 4. Juni zusammen mit anderen Künstlern in der kanadischen Botschaft in Berlin auf.

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Und was hat es mit dem Titel auf sich? Auch Black Hammer war ein Superheld in Spiral City, sogar der mächtigste der Gruppe. Auch er wurde überraschend auf die Farm verbannt, starb aber beim Versuch, das Kraftfeld um Rockwood zu überwinden. Die anderen haben sich nach all den Jahren mehr oder weniger ihrem Schicksal gefügt, auch wenn sie immer wieder mal versuchen, Kontakt nach außen aufzunehmen, um nach Spiral City zurückkehren zu können. Dort wiederum geht die Journalistin Lucy dem Verschwinden ihres Vaters Black Hammer nach - bis sie selbst auf die Farm gebeamt wird und versucht, hinter das Geheimnis dieses unwirklichen Ortes zu kommen.

Im bereits starken ersten Band von „Black Hammer“ legten Autor Lemire, Zeichner Dean Ormston und Kolorist Dave Stewart die Grundlage für die vielseitige Geschichte, sie umrissen die Figuren und ihr Schicksal. Im zweiten Band webt Lemire ein wesentlich feineres Netz. Die Hintergründe der Ereignisse werden klarer, die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander erhalten mehr Tiefe und Rückblenden auf die Vorgeschichte der Superhelden enthüllen ihre Tragik. Gleichzeitig erweitert Lemire das Comic-Universum, indem er den Kampf gegen Anti-Gott in einen größeren, geradezu kosmischen Zusammenhang stellt, von dem einige der gestrandeten Helden mehr wissen, als sie zugeben möchten.

Liebe zum Superhelden-Genre

Spannend an dieser Entwicklung ist vor allem, wie Lemire die Figuren zunehmend zu tragischen Helden formt. Abraham Slam etwa war in Spiral City zwar ein Superheld, doch mit jüngeren Kollegen konnte er längst nicht mehr mithalten. Auch Golden Girl wollte ihr Kostüm bereits an den Nagel hängen - in Wirklichkeit ist sie eine ältere Frau, die in Rockwood jedoch in ihrer Superhelden-Identität als kleines Mädchen gefangen ist.

Jeff Lemire am Zeichentisch.
Jeff Lemire am Zeichentisch.

© Lars von Törne

Barbalien schließlich, ein Marsianer, fühlte sich auf der Erde zunehmend fremd. Nicht nur, weil er seine wahre Gestalt stets verbergen musste, sondern auch weil er als Homosexueller von Kollegen gemobbt wurde. Sie alle haderten bereits mit ihrer Rolle als Superhelden bevor sie in Rockwood strandeten.

Dieser düstere Blick auf das Heldentum erinnert an Alan Moores und Dave Gibbons Meilenstein „Watchmen“. Doch Lemire verweigert sich deren dystopischer Konsequenz. Vielmehr feiert er seine Liebe zum Superhelden-Genre. „Dieses Zeug ist immer noch ein Teil meiner DNA“, sagte er dem Tagesspiegel kürzlich im Interview und erzählte, wie er als Kind Comics von DC und Marvel verschlang und später für die beiden Großverlage arbeitete.

Golden Age: Eine weitere Szene aus „Black Hammer“.
Golden Age: Eine weitere Szene aus „Black Hammer“.

© Splitter

Sein Wissen um die Comicgeschichte greift Lemire in „Black Hammer“ immer wieder auf: Manche Figuren erinnern an die naiven Helden der 30er- und 40er-Jahre. Lady Dragonfly spielt auf Horrorserien der 50er an, Colonel Weird auf den Science-Fiction-Hype der 60er. Und der gealterte Abraham Slam könnte den düsteren Comics der 70er und 80er entsprungen sein. Leichtfüßig spielt Lemire mit den Genres, wechselt zwischen Fantasy, Grusel und Provinzposse - der Kanadier wuchs selbst auf einer kleinen Farm in Ontario auf.

Heldentum und Verklärung

Statt aber selbst zu zeichnen, holte sich Lemire mit Dean Ormston einen Künstler ins Team, der die Diskrepanz zwischen gescheitertem Heldentum und nostalgischer Verklärung perfekt grafisch umsetzen kann. Die beiden wollten „Black Hammer“ nicht wie einen Mainstream-Comic aussehen lassen und setzen dafür auf ein ruhiges Layout mit klar abgetrennten Panels und einen realistischen, zurückhaltenden Stil - was an Lemires frühe Independent-Werke wie „Essex County“ erinnert.

Etliche Porträts zeigen die nachdenklichen Gesichter der Protagonisten, immer wieder legen sich Schatten über Menschen und Landschaft. In den Rückblenden allerdings, die von den einstigen Superhelden-Abenteuern erzählen, werden die Zeichnungen dynamischer, tauchen fantastische und verspielte Elemente auf.

Das Cover des zweiten Sammelbandes der Reihe.
Das Cover des zweiten Sammelbandes der Reihe.

© Splitter

Erstaunliches leistet auch Kolorist Dave Stewart, der vor allem für seine stilbildende Arbeit bei „Hellboy“ bekannt ist. Während er bei den Szenen in Rockwood auf gedeckte, düstere Töne setzt, kommen in den Erinnerungen der Helden knallige Farben zum Einsatz, die im wahrsten Sinne des Wortes ins „Goldene Comiczeitalter“ abtauchen.

Im zweiten Band der Reihe ist dieses Nebeneinander von Abgesang und Hommage noch ausgeprägter. Action und Drama, die die Serie so wunderbar vereint, ziehen damit nochmal gehörig an. Daneben fährt Lemire ein dichtes Geflecht unterschiedlichster Themen auf, die von gesellschaftlicher Verantwortung über Familienleben bis zu Homosexualität reichen. Zu erzählen gibt es jedenfalls noch genug. So viel zumindest, dass

n den USA bereits mehrere Ableger zur Hauptserie erschienen sind, die sich einigen der bizarren Nebenfiguren widmen.

Jeff Lemire, Dean Ormston, Dave Stewart: Black Hammer, Bd. 1: Vergessene Helden und Bd. 2: Das Ereignis, Splitter, 184 bzw. 176 Seiten, Hardcover, 19,80 bzw. 24,80 Euro

Markus Lippold

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