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Dämonische Mächte: Eine Seite aus „Der Sandmann“.

© Knesebeck

E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ als Comic: Zum Mittagessen gibt's Augäpfel

Schon mehrfach wurde E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ als Comic adaptiert. Zeichner Vitali Konstantinov betont das Groteske und Absurde der Erzählung.

Manche Erzählungen lassen schneller als andere Bilder in der Fantasie entstehen, bringen das Kopfkino zum Laufen. So ist es auch mit E. T. A. Hoffmanns schauriger Geschichte „Der Sandmann“ von 1816.

Als der Advokat Coppelius mit seiner angsteinflößenden Erscheinung und lautem Poltern das Haus betritt, meint der junge Nathanael sogleich zu wissen, um wen es sich handelt: Es ist der Sandmann, der Kindern Sand in die Augen streut und die blutigen Augäpfel an seine eigenen, drachenartigen Kinder mit den krummen Schnäbeln verfüttert.

Das Auftauchen des Advokaten wird für Nathanaels Vater zum Verhängnis: Als beide zusammen alchemistische Experimente durchführen, stirbt der Vater bei einer Explosion. Nathanael sieht in Coppelius den Verantwortlichen für den Tod seines Vaters. Es wird für ihn zum Kindheitstrauma, das ihn später in den Wahnsinn führt.

Der in Marburg lebende Zeichner Vitali Konstantinov hat E. T. A. Hoffmanns gruselige Erzählung „Der Sandmann“ als Comic adaptiert (Knesebeck, 48 Seiten, 22 Euro). Der düstere Stoff mit den grausamen und bizarren Begebenheiten verlangt geradezu nach einer Visualisierung.

Kein Wunder also, dass Konstantinov nicht der Erste ist, den die Geschichte zu einer Graphic Novel inspiriert hat: 2014 ist eine Adaption von Andrea Grosso Ciponte in der Edition Faust erschienen, in diesem Jahr bei Kult Comics eine grafische Interpretation des Sandmanns von Michael Mikolajczak und Jacek Piotrowski.

An der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit

Die Geschichte von Nathanael, der den dämonischen Mächten ausgeliefert scheint, ist äußerst vielschichtig: Bis zuletzt bleibt der Leser in der Unsicherheit, ob sich die Ereignisse in der fiktiven Wirklichkeit abspielen oder alles Teil von Nathanaels eigener Wahnwelt ist und sich nur in seinem Kopf abspielt.

Die Kindheitsereignisse werden von Neuem aufgerollt, als Nathanael – inzwischen Student – von einem Wetterglashändler namens Coppola aufgesucht wird. In ihm glaubt er Coppelius, also den Sandmann, zu erkennen.

Zwar verscheucht Nathanael ihn zunächst, kauft ihm später aber ein Fernglas ab. Damit kann er die wunderschöne Olimpia betrachten. Sie ist die Tochter des Professors Spalanzani, der das Haus gegenüber bewohnt. Während viele sie als ungewöhnlich reglos und starr empfinden, verliebt sich Nathanael in sie und besucht sie regelmäßig im Haus des Professors.

Darüber vergisst er seine eigentlich geliebte Clara. Olimpia stellt sich schließlich als automatisierte Holzpuppe heraus, erschaffen von Spalanzani und Coppelius. Letzterer hat nun endgültig die Macht über Nathanael, der schließlich ins Verderben stürzt.

Schwarze, leere Augenhöhlen

Konstantinovs Adaption der Geschichte, die sich der Schwarzen Romantik zuordnen lässt, unterscheidet sich deutlich von den anderen beiden Umsetzungen.

Während Grosso Ciponte düstere und atmosphärisch dichte Bilder mit vielen Schatten und verwischenden Formen entstehen lässt, dazu dicht am Original bleibt, liefern Mikolajczak und Piotrowski eine ganz eigene Interpretation der Erzählung. In ihrer Graphic Novel leben Nathanael und Coppelius als Nachbarn in einem Wohnhaus.

Schaurige Blicke: Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Schaurige Blicke: Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Knesebeck

In der neuesten Version des „Sandmanns“ setzt Konstantinov hingegen auf das Groteske und Absurde der Erzählung, so dass der Grusel zum Teil fast schon komisch daherkommt. Mit klarer Linie lässt er drachenartige Gestalten entstehen, deren Krallen unzählige bluttriefende Augäpfel umklammern.

An anderer Stelle entstehen collagenartige Bilder aus Gliedmaßen und Totenschädeln, die dem Bösewicht Coppelius für seine Experimente dienen. Mit solchen Szenerien gelingt es dem Zeichner eindrucksvoll, die verzerrte Realität zu demonstrieren, die jeglicher Logik entbehrt.

Größtenteils hält Konstantinov die Zeichnungen in schwarz-weiß, setzt stellenweise aber ganz bewusst Farbe ein. So stechen die immer wieder auftauchenden Augäpfel mit ihren blauen Pupillen an verschiedenen Stellen hervor. Mit kräftigem Rot wirkt das Flammenmeer nach der Explosion im alchemistischen Labor wiederum umso eindringlicher.

All das sind starke Momente in Konstantinovs Visualisierung der Geschichte. Dazu zählt auch die akkurat gezeichnete Mechanik der Holzpuppe, die später mit ihren schwarzen, leeren Augenhöhlen nur noch monströs wirkt.

Streckenweise wirkt Konstantinovs Umsetzung, die sich dicht am Originaltext entlanghangelt, aber recht blass und verliert außerhalb der Horror-Szenen an atmosphärischer Dichte. Insgesamt hätte es dem Comic gutgetan, stärker aus dem Ursprungstext auszubrechen und noch mehr eine eigene Interpretation zu wagen.

Birte Förster

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