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Reißender Absatz: Eine Szene aus dem Manga „Tokyo Ghoul“.

© Tokyo Ghoul 2011 by Sui Ishida. All rights reserved.

Manga-Serie „Tokyo Ghoul“: Die Lust am Ekel

Die Manga-Serie „Tokyo Ghoul“ dominiert seit inzwischen drei Jahren die Manga-Charts. Die Gründe für den Erfolg sind vielfältig.

In den vergangenen Jahren waren Zombies medienweit Garant für gute Absatzzahlen. Im Manga-Bereich laufen den toten Dumpfbacken mittlerweile aber andere menschenfressende Monster den Rang ab: Die Ghule aus Sui Ishidas Horror-Splatter-Kosmos „Tokyo Ghoul“ platzierten sich im vergangenen Jahr mit dem dritten Band des Sequels „Tokyo Ghoul:re“ zum dritten Mal in Folge auf dem ersten Platz der deutschen Manga-Verkaufscharts. Drei weitere Bände des Sequels besetzten die Plätze vier, acht und zehn. „Tokyo Ghoul“ Band 1, dessen deutsche Ausgabe mittlerweile mehr als 100 000 mal über die Ladentheken gegangen ist, konnte immerhin noch Rang 7 erreichen. Die offenbar zeitlose Geschichte, die in Japan 2011 im Manga-Magazin „Weekly Young Jump“ des renommierten Shueisha-Verlags startete, zieht stetig neue Leser an. Doch woran liegt es, dass die Reihe einer der erfolgreichsten Manga-Importe unserer Zeit ist?

Heißhunger auf Menschenfleisch

„Tokyo Ghoul“ verfolgt das Los des durchschnittlichen Oberschülers Ken Kaneki. Der hat zunächst Glück im Unglück: Seine Angebetete entpuppt sich als nimmersatte Ghula und wird – kurz bevor sie ihn genüsslich verspeisen kann – von einem Stahlgerüst erschlagen. Doch dann springt ihm das Schicksal mit Anlauf ins Gesicht. Aufgrund seiner schweren Verletzungen werden Ken die Organe des Wesens transplantiert. Er muss sich infolgedessen als Halbghul mit bohrendem Heißhunger auf Menschenfleisch in der Schattenwelt der gefürchteten Monster zurechtfinden!

Alarmstufe Rot. Eine Szene aus der Anime-Verfilmung von "Tokyo Ghoul".
Alarmstufe Rot. Eine Szene aus der Anime-Verfilmung von "Tokyo Ghoul".

© Tokyo Ghoul 2011 by Sui Ishida. All rights reserved.

Die kafkaeske Identitätskrise des Jungen, seine ersten Begegnungen mit der vielschichtigen – der zwiespältigen Welt der Menschen nicht unähnlichen –Gesellschaft der Ghule sowie der erbarmungslose Überlebenskampf auf allen Seiten sind spannende inhaltliche Faktoren.

Doch nicht nur sie bedingten den Erfolg der Serie hierzulande. Hilfreich war auch, dass Kazé Manga den Titel Mitte 2014 als einer der ersten westlichen Verlage für das europäische, speziell das deutschsprachige Publikum zugänglich machte. Kurz danach gab die japanische Anime-TV-Serie von Naruto-Studio Pierrot international weitere Starthilfe. Kazé veröffentlichte die zwölfteilige Reihe parallel zum Japanstart von Juli bis September 2014 auf dem hauseigenen Videoportal Anime on Demand als Simulcast und 2015 auf DVD und Blu-ray.

Umfangreiches Medienuniversum

Das „Tokyo Ghoul“-Universum ist hierzulande eines der umfangreichsten neben dem von Genre-Mitbewerbern wie „Attack on Titan“: Derzeit erscheint in Deutschland nicht nur das in Japan bislang 14 Bände umfassende Manga-Sequel „Tokyo Ghoul:re“ des Zeichners. Auch die Romane „Tokyo Ghoul: Alltag“, „Tokyo Ghoul: Leere“ und „Tokyo Ghoul: Alte Zeiten“, das vollfarbige Artbook „Tokyo Ghoul [zakki]“, die zweite Staffel der Anime-TV-Serie, „Tokyo Ghoul √A“ sowie die Direct-to-Video-Produktionen „Jack“ und „Pinto“ sind erhältlich. Letztere adaptieren Geschichten aus dem Romankosmos. Die Realfilmumsetzung „Tokyo Ghoul: The Movie“ erschien am 13. April auf DVD und Blu-ray. Eine dritte Anime-Serie, die auf „Tokyo Ghoul:re“ basiert, startet demnächst im japanischen Fernsehen. Und auf der Leipziger Buchmesse kündigte Kazé Manga an, dass die Serie zeitgleich seit dem 3. April als Simulcast im Original mit deutschen Untertiteln ausgestrahlt werden und 2019 auch für die Heimplayer erscheinen soll.

Das Cover des ersten Bandes der Reihe.
Das Cover des ersten Bandes der Reihe.

© Tokyo Ghoul 2011 by Sui Ishida. All rights reserved.

Vielleicht ist diese Medienflut aber nicht Grund für den anhaltenden Hype sondern eher Ergebnis. „Tokyo Ghoul“ ist in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Sui Ishida, der im Gegenzug zu vielen anderen japanischen Künstlern komplett digital arbeitet, experimentiert gern. Die düsteren, expressiven Zeichnungen und die gerade Panelausrichtung sind anfangs zwar nur mäßig attraktiv, steigern sich aber zu außergewöhnlicher Qualität. Sein effektiver Erzählrhythmus, der großzügige Splatter-Action mit kleinteiliger Emotionsbetrachtung kombiniert, überzeugt hingegen von der ersten Seite an.

Das wahre Hitpotenzial entfaltet „Tokyo Ghoul“ aber mit den Charakteren, deren Persönlichkeiten und Hintergrundgeschichten die Story würzen und voranbringen. Bei seinen Figuren kokettiert Sui Ishida mit aktuellen Mode- und Fetischtrends ebenso wie mit mannigfaltigen sexuellen Präferenzen, überschreitet Grenzen und holt damit ein breites Publikum ab.

All diese guten Gründe für den reißenden Absatz der reißenden Bestien verlieren aber ihre Schlagkraft im Angesicht einer einfachen Vermutung: Möglicherweise ist es schlicht die Lust am Ekel und am puren Grauen, die blutige Titel wie „Tokyo Ghoul“, „The Walking Dead“ und Co. so erfolgreich macht.
Sui Ishida: Tokyo Ghoul, Kazé Manga, 14 Bände, je 6,95 €

Sabine Scholz

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