zum Hauptinhalt
Erste Annäherung: Eine Szene aus „Der Mann meines Bruders“.

© Carlsen

„Der Mann meines Bruders“: Unerwarteter Besuch

Gengoroh Tagame will mit seinem Manga „Der Mann meines Bruders“ homophobe Vorurteile abbauen. Für eine neue Kritikerjury ist es der beste Comic des Frühlings.

Gleich die Einstiegsszene macht klar: Dieser Comic ist ungewöhnlich. Wir begleiten den Japaner Yaichi durch den Morgen, wie er als alleinerziehender Vater seine Tochter Kana für die Schule fertig macht und dann mit Schürze die Wohnung saugt, als es plötzlich an der Tür klingelt. Dort steht Mike, der kanadische Ehemann von Yaichis verstorbenem Zwillingsbruder Ryoji. Damit hat Yaichi nicht gerechnet. Und richtig dumm ist, dass er seiner Tochter nie von ihren Onkels in Kanada erzählt hat und dass Kana jetzt sofort Mike in ihr Herz schließt. Nun muss Yaichi im Schnelldurchlauf all das aufarbeiten, was er über die Jahre verdrängt hat.

Und da hat sich einiges angesammelt in dieser Familienaufstellung, zu der auch noch Kanas  zunächst abwesende  Mutter gehört. Da beherrscht die Szenerie insbesondere eine ganze Ladung homophober Vorurteile, die die Geschichte mit ihrer Last aber nie erdrückt, wofür vor allem Kana mit ihrer Unbekümmertheit sorgt, die sie immer zur rechten Zeit die genau „falschen“ Fragen stellen lässt.

Drama und Comedy wie bei Ralf König

Fragen übrigens, die sich wohl auch nicht wenige Leser von „Der Mann meines Bruders“ stellen – ja, stellen sollen. Denn Autor Gengoroh Tagame verfolgt eine aufklärerische Absicht. Er hat die Reihe von 2014 bis 2017 gezielt für ein populäres Jugendmagazin in Japan gezeichnet, nachdem er seine Mangas zuvor über Jahrzehnte fast ausschließlich für die Schwulenszene gestaltete.

Diese Wurzeln blitzen immer mal wieder in „Der Mann meines Bruders“ auf, wenn er in Badeszenen in den wohlproportionierten Körpern seiner Protagonisten schwelgt. Vor allem aber etabliert Tagame meisterhaft einen Erzählton, der über die Verbindung von Drama und Comedy richtig gute Unterhaltung bietet. Damit erinnert die Geschichte stark an die Werke von Ralf König – sicherlich nicht die schlechteste Referenz.

Auf jeden Fall hat das die aus 30 deutschsprachigen Comic-Kritikern bestehende Jury einer neuen Bestenliste überzeugt, die seit Kurzem nach dem Vorbild der traditionsreichen SWR-Bestenliste für Literatur erstellt wird. Die Comic-Jury, zu der mehrere Tagesspiegel-Autoren und auch der Verfasser dieses Artikels gehören, setzte den Manga auf Platz 1 ihrer Top 10 für das erste Quartal 2019 (hier gibt es die Liste aller zehn Siegertitel). Insgesamt umfasst die Miniserie vier Bände, die bis Ende 2019 vorgelegt werden sollen.

Gengoroh Tagame: Der Mann meines Bruders, Carlsen, Band 1, 180 Seiten, 10 Euro

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Carlsen

Martin Jurgeit

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false