
© AFP/Stringer
Das Feuer aus dem Keller: Live-Aufnahmen von John Coltrane und Eric Dolphy
Über 60 Jahre nach ihrer Entstehung wirft das Album „Evenings at the Village Gate“ neues Licht auf die großen Umbruchphase des Saxophonisten
Stand:
Nein, hier wird kein zweites Jazz-Troja ausgegraben. Auch von einem neuerlichen „Lost Album“, wie es vor fünf Jahren John Coltranes „Both Directions At Once“ gewesen sein soll, kann keine Rede sein. Die Live-Aufnahmen von „Evenings at the Village Gate“ sind aber ein Fundstück ersten Ranges, frei nach dem Motto: Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst. Sie zeigen den Saxophonisten in seinem um den Bassklarinettisten und Flötisten Eric Dolphy erweiterten Quartett auf dem mitreißenden Höhepunkt einer Freispielphase, in der er den Hardbop hinter sich ließ und seine „sheets of sound“ in eine ekstatische Spiritualität überführte.
Die musikhistorische Erkenntnis der fünf Stücke liegt denn auch vor allem darin, dass die Revolution, die Coltrane nach dem Erscheinen seines im Oktober 1960 aufgenommenen Studioalbums „My Favorite Things“ auf der Bühne anzettelte, spätestens im August 1961 stattfand: Allein das Titelstück gewinnt in der Version aus dem New Yorker Kellerlokal eine völlig neue Anmutung. Die Aufnahmen aus dem Village Vanguard mit denselben Musikern – Drummer Elvin Jones, Pianist McCoy Tyner und Bassist Reggie Workman – datieren erst aus dem November. Für die Ereignisdichte jener Jahre ist das keine Kleinigkeit.
Was Richard Alderson, der Soundtechniker des Village Gate, mit einem einzigen Mikrofon über der Bühne einfing und unentdeckt in den Archiven der New York Public Library unterging, ist digital solide aufbereitet und hat genug Feuer, um auch Neulinge für Coltrane einzunehmen. Die klangliche Ausgewogenheit der Vanguard-Aufnahmen erreicht es nicht. Mitsamt den Tonrollen und Überschlägen von Eric Dolphy bleiben sie die erste Wahl.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: