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Kultur: Das Handbuch, das Lexikon und der "Bach 2000"

Das Bach-Jahr kreiste und gebar zwei Wälzer. Vom "Bach-Handbuch" behauptet sein Verlag, ohne dieses "gehe nichts", das "Bach-Lexikon" wird als "Lexikon der Superlative" verkauft.

Das Bach-Jahr kreiste und gebar zwei Wälzer. Vom "Bach-Handbuch" behauptet sein Verlag, ohne dieses "gehe nichts", das "Bach-Lexikon" wird als "Lexikon der Superlative" verkauft. Anlass genug für einen Verbrauchertest auf die Unverzichtbarkeit. Was vermitteln beide Bücher etwa zu den Suiten für Cello solo? Das Lexikon mit seinem umfangreichen Anteil an Personenartikeln hat zwar ein Werkeverzeichnis, aber kein Register, wo diese Werke oder gar Werke anderer Komponisten erwähnt werden. Das Handbuch wiederum, in durchgängig formulierten Kapiteln um Werkgruppen gegliedert, hat kein allgemeines Sachregister.

Bei der umständlichen Suche im Lexikon, wo nun die Werke Bachs im einzelnen erörtert werden, stößt man auf den Eintrag "Suite". Der Artikel will einerseits die Entwicklung der Suitenform erklären, wozu nicht genug Platz vorhanden ist. Andererseits wagt er keinen Einblick in Bachs Verhältnis zur Tradition oder seine interessanten Formverknüpfungen im Rahmen von Tanzsätzen. Man erhält lediglich eine Liste der bei ihm vorkommenden Tanzsätze. Hier wird Platz am falschen Ort gespart. So geben die kurzen Artikel kaum einen Einblick in die verschiedenen Tanztypen, oder einen Hinweis auf zeitgenössische Beschreibungen, geschweige denn Notenbeispiele. Das ist beim Artikel "Violoncello" nicht anders. Dort suggeriert der Autor, die Spieltechnik habe mit "zunehmenden Anforderungen" der Kompositionen nicht mitgehalten - eine von mehreren unbelegten Thesen. Unter "Violoncellomusik" liest man erstaunt, Bach habe sich mehrfach über die "Schwerfälligkeit" des Cellos beklagt (wo und wann?) . Warum er für dieses "schwerfällige" Instrument mit unterentwickelter Technik ausgerechnet Stücke schrieb, die das Gegenteil erfordern, wird nicht plausibel gemacht.

Anstatt einer langatmigen Erörterung des speziellen Problems, für welches Instrument die 6. Suite geschrieben wurde, hätte man gerne mehr über motivische Arbeit oder den zyklischen wie auch faszinierenden pädagogischen Aufbau der Werke erfahren. Es fehlen Ausführungen zu den Themen "Verzierung" oder "Phrasierung". Die Sachartikel weisen unterschiedliches Niveau auf. Während im Artikel "Form" das Begriffsinstrumentarium durcheinanderpurzelt, sind etwa die Artikel "Arbeitsweise" oder "Symbolik" klar und aufschlussreich formuliert.

Der grössere Umfang des Handbuchs lässt eine sehr viel eingehendere Erörterung der Musik zu, die allerdings je nach Autor qualitativ verschieden ausfällt. Das Kapitel zu "Solo- und Ensemblesonaten" ist eines der schwächsten; ein Grundsatzartikel zur Aufführungspraxis behandelt kaum konkrete Probleme. Weiter finden sich keinerlei Reflexionen zum formalen Aufbau der Suiten, wie übrigens auch zur "Sonatenform" in den Werken für Violine und Flöte. Ausführungen zu den Cellosuiten sind zwar immerhin mit (uncharakteristischen) Notenbeispielen versehen, aber kaum zum Verständnis von Bachs Kompositionsverfahren geeignet.

Die Melodik "der Allemanden" (dabei ist gerade die vielfältige Typologie in den Suiten das Erstaunliche) sei "auch im Rhythmischen unruhig, oft dramatisch und durch häufig auftretende Scheinstimmen eigentümlich gezackt", Menuette seien "von robuster Munterkeit", Gavotten "pompös" - und dergleichen Unsinn mehr. Auch hier fehlt die Fähigkeit zu interessanter, verständlicher Analyse. Das geht auch anders, wenn man in das Kapitel "Klaviermusik" schaut. Die Fragestellungen sind intelligent, der historische Zugriff einmal nicht nur positivistisch erzählend, die Sprache klar. Zwar bleibt die Analyse konventionell, es wird aber ein zutreffender und umfassender Einblick in die Werkstrukturen vermittelt.

Während im umfangreichen Teil zu den Kantaten jede Kantate in ihrem historischen Kontext besprochen wird, beschränkt sich die ästhetische Sicht völlig auf Formabläufe. Die so wichtige rhetorische Ausformung der Stimmen, die Wechselwirkung zwischen Gesang und Instrumenten und die Textausdeutung etwa auch durch bestimmte Instrumente kommen fast nicht vor. Der Laie hätte aber gerade daran Interesse. Insgesamt muß man sich bei beiden Werken fragen, wer sie eigentlich erwerben soll. Beim Handbuch ist immerhin klar, dass Kantoren oder Pianisten ein nützliches Kompendium an die Hand bekommen. Das Lexikon will zu viel und zu wenig. Für Personenartikel ist ein großes Lexikon wie das gerade neu erscheinende "Musik in Geschichte und Gegenwart" hilfreicher, zumal wenn so wenig über das Verhältnis der Personen zu Bach zu erfahren ist. Für Sachartikel wiederum ist zu wenig Platz vorhanden, so dass dann doch eher das Handbuch zu empfehlen wäre.

Fast könnte man es hinter den angeblich unverzichtbaren Wälzern übersehen: Ein informatives, intelligent und unterhaltsam formuliertes Büchlein, das Teldec zu seiner CD-Gesamtaufnahme veröffentlicht - Wolfgang Sandbergers "Bach 2000". In 24 "Inventionen" gelingt ihm auf nur 241 Seiten eine ausgewogene Mischung aus Biografie, Einblick in das Werk und Zurechtrücken liebgewonner Fehlurteile. Ein müheloser Einstieg ins Bach-Jahr, ohne grössere Lücken und Enttäuschungen.Hans-Joachim Hinrichsen: Das Bach-Lexikon. Laaber Verlag 2000. 623 Seiten, 168 DM. - In der Metzlerschen Verlagsbuchhandlung erschienen 1999: Konrad Küster (Hrsg.): Bach-Handbuch. 997 Seiten, 158 DM. - Wolfgang Sandberger: Bach 2000. 243 Seiten, 78 DM.

Clemens Goldberg

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