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Kultur: Das Ich-Mobil

Ein

von Jan Oberländer

In den USA schieben Obdachlose ihre Habseligkeiten in Einkaufswagen durch die inner cities . So bleibt den in der Konsumkultur Gescheiterten zur Alltagsorganisation noch das plakativste Symbol dieser Kultur. In HartzIV-Land dagegen dreht der Nürnberger Künstler Winfried Baumann dieses zynische Bild um. Ausgehend von der These, dass die Form des Equipments die Lebensumstände seiner Benutzer widerspiegelt, hat Baumann im Rahmen seines Projekts „Instant Housing“ sogenannte fahrbare Wohnbehälter (WBF) entwickelt.

Diese wirken auf den ersten Blick, ungern schreibt man es, wie glänzende Mülltonnen, komplett mit Deckel, Griff und Rollen. Einmal langgelegt, auf- und ausgeklappt, erweisen sie sich jedoch als wahre Funktionalitätswunder: Vom Standardmodell „WBF 240 S“ (mit ausziehbarer, gepolsterter Liegefläche, Erste- Hilfe-Paket, Taschenlampe, Taschenmesser, Spiegel und Trillerpfeife) über den „WBF 240-M“ (mit Moskitonetz) bis hin zum „WBF 240-Office“ (mit „Baycom Worldbook II“-Laptop), passen sich die „mobilen Wohnsysteme“ ganz den spezifischen, marktbedingt herabgeschraubten Bedürfnissen heutiger Berber, Werber und anderer urbaner Nomaden an.

Für die sind die WBF einerseits kulturelle Selbstermächtigung, andererseits aber auch eine zeitgemäße, professionelle Anpassung an eine Arbeitswelt, die immer bedingungslosere Flexibilität fordert. So werden gleich zwei Marktlücken auf einmal geschlossen und obendrein Arbeitsplätze geschaffen – in der Produktion des Ich-Mobils. Daraus erblühen Perspektiven: Verwaisende Innenstädte und ungenutzte Industrieareale könnten, Kleinstversionen amerikanischer Wohnwagensiedlungen, zu WBF-Parks werden. Und eine neue Klasse Tonnenbewohner könnte sich bilden – autarke, selbstveranwortliche Individualisten, die Erste- Hilfe-Packs aufreißen, statt den Sozialstaat zu belasten. Deutschland bewegt sich: in die Zukunft.

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