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Kultur: Das Rätsel Frau

Er hat finstere Ringe unter den Augen. Bartstoppeln rauhen sein Gesicht auf.

Er hat finstere Ringe unter den Augen. Bartstoppeln rauhen sein Gesicht auf. Er wirkt müde, beinahe krank. In grauem Mantel schleppt er sich durchs Dasein. Der Blick ist düster. Aber der Durchblick stimmt.

Tom Jericho (Dougray Scott), der geniale Cambridge-Mathematiker, ist genau der Mann, der gebraucht wird gegen die Deutschen. Ein Dechiffrierer und Rätsellöser, der die Codes der Enigma-Maschine knacken soll. Wäre da nicht die blonde Venus gewesen, die ihm den Kopf verwirrt hat. Eine Frau, kryptischer als die verzwicktesten Rätsel der Nazis. Ausgerechnet Claire (Saffron Burrows) heißt sie, doch ist sie alles andere als klar. Wie ein Phantom geistert sie durch den Film - nur in Rückblenden. Ein verflüchtigtes Objekt der Begierde.

Toms intellektuelles Instrumentarium scheitert am Enigma der Liebe. Und das in Zeiten des Krieges, der seit jeher gerne als tosende Kulisse für Gefühlsstürme genutzt wurde: von "Vom Winde verweht" bis "Der englische Patient". Hier wird an der home front gefochten, in Bletchley Park, dem Anwesen nördlich von London, in dem die britischen Kryptographen halfen, die Hitleristen zu schlagen. Der Film zielt darauf, den Männern und Frauen von Bletchley Park ein spätes Monument zu errichten. Und verehrt die Decodier-Heroen nicht mit amerikanischem Pathos, sondern bleibt beim britischen Understatement. Auch der Patriotismus kommt unaufdringlich daher: Anfangs finden Konzerte mit Bach und Brahms statt; am Ende spielt ein Orchester Kompositionen von Vaughan Williams, dem Briten.

Allerdings verraten die Kräfte, die für diesen Film mobilisiert wurden, wie ernst es den Machern mit ihrer Erinnerungsarbeit gewesen sein muss: "Enigma" ist ein britisches Prestigeprojekt, eine veritable Künstlerparade des Königreichs. Mick Jagger hat als Produzent die Steine ins Rollen gebracht, nachdem er auf das Buch des Bestseller-Autors Robert Harris gestoßen war. Jagger bat Tom Stoppard, Großbritanniens Großdramatiker, daraus ein Drehbuch zu formen. James-Bond-Regisseur Michael Apted hat es umgesetzt. Die Musik wurde vom dreifachen Oscar-Preisträger John Barry beigesteuert, dem Komponisten von "Der mit dem Wolf tanzt" und "Jenseits von Afrika".

Und dann ist da noch Kate Winslet. Die war, vielleicht erinnert sich noch jemand, 1997 mal der größte aller weiblichen Stars. Jetzt ordnet sie sich brav - mit erstaunlich zurückhaltender Rolle - in das Ensemble ein. Hinter einer Harry-Potter-Brille versteckt, gibt sie den sidekick von Dougray Scott. Ihre Hester ist eine Frau, bei der Männern behaglich ums Herz wird - aber den inneren Vulkan zum Ausbruch zu bringen, das gelingt ihr nicht. Hester ist nicht Claire und schon gar nicht die Rose der untergehenden Titanic.

"Enigma" funktioniert als Romanze, eingebunden in einen Spionage-Roman. Dieses Genre haben die Briten perfektioniert mit Autoren wie Eric Ambler und Graham Greene, Frederick Forsythe und John le Carré. Spionage-Romane haben immer eine ideologische Stoßrichtung. Auch "Enigma" macht eine Rechnung auf, wie sie gut in den Kalten Krieg gepasst hätte. Die Deutschen sind ungewöhnlich milde gezeichnet. Als eigentliche Schurken werden die Sowjets gebrandmarkt. Es geht um das Massaker von Katyn, das nicht öffentlich gemacht wurde, um die Allianz gegen die Nazis nicht zu gefährden. Nicht nur hier wirkt der Film ein wenig altmodisch. Aber: Freuen wir uns nicht auch in der Mode manchmal, wenn alte Sachen plötzlich wieder aus dem Fundus hervorgeholt werden?

Julian Hanich

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