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Provisorisches Zuhause im klapprigen Lieferwagen: Gang Dong-won, Lee Ji-eun und Song Kang-ho in „Broker“ (v.l.).

© Zip Cinema & CJ ENM CO.

Das Roadmovie „Broker“: Die weggeworfenen Kinder

Hirokazu Kore-edas warmherziges Filmdrama „Broker – Familie gesucht“ wirft ein Licht auf die unbarmherzige soziale Realität in Südkorea.

Nacht, Regen, eine leere Gasse in der südkoreanischen Hafenmetropole Pusan. Eine junge Frau mit einem Bündel im Arm taucht aus der Dunkelheit auf, legt ihren Säugling vor der Babyklappe einer Kirchengemeinde ab und verschwindet. Wenig später öffnet eine andere Frau die Klappe und legt das Baby in den dort bereitgestellten Tragekorb. In der nächsten Szene befindet sich das Baby samt Korb bei zwei Männern in der Wohnung gegenüber, die schnell noch das Babyklappen-Video löschen.

Hirokazu Kore-eda skizziert leichthändig soziale Milieus

Die Verwirrung legt sich schnell in „Broker – Familie gesucht“ vom japanischen Regisseur Hirokazu Kore-eda, der seine aufs Nötigste reduzierten Erzählstränge erneut elegant miteinander verwebt und mit leichter Hand eine komplexe soziale Gemengelage skizziert. Wie kaum ein anderer weiß Kore-eda, Menschen in Not zu porträtieren, die sich zusammentun, um irgendwie durchzukommen, und sich gemeinsam durchschlagen. Kore-eda verteidigt ihr Recht auf kleine Lügen und Tricks. Schnell denkt man an die auf wenigen Tatami-Matten lebende Patchworkfamilie in „Shoplifters“, dem Cannes-Gewinnerfilm von 2018 über eine Schicksalsgemeinschaft, die der Unbarmherzigkeit der Behörden trotzt, und damit auch dem Gesetz.

Nur dass sich diese Ersatzfamilie in „Broker“ erst finden muss, aus einer Zweckgemeinschaft heraus. Die junge Mutter Moon (Lee Ji-eun), die auf der Flucht ist und deshalb ihr Baby nicht versorgen kann, heftet sich an die Fersen der beiden Männer aus der Eröffnungssequenz, zwei bei der örtlichen Mafia verschuldete Kleinkriminelle (Gang Dong-won und „Parasite“-Hauptdarsteller Song Kang-ho) , die illegal Babys vermitteln, um schnell an Geld zu kommen. Moon möchte bei den  Treffen mit potenziellen Adoptiveltern dabei sein und mitentscheiden. Ihnen auf der Spur: zwei Ermittlerinnen (Bae Doona, Lee Joo-young) mit dem Auftrag, die Baby-Makler auf frischer Tat zu ertappen.  

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So entspinnt sich ein Roadmovie, ein Bewegtbild von Menschen unter Druck, von Schattenfiguren am Rand der Gesellschaft. Hier der klapprige Lieferwagen mit dem Baby Woo-Sung und denen, die es verkaufen wollen, hinter ihnen die Polizistinnen, die im Auto schlafen, sich von lauwarmen Instantnudeln ernähren und Moralfragen erörtern, knappe Sätze über „weggeworfene“ Kinder und verzweifelte Eltern austauschen. Oder darüber, ob Abtreibung die größere Sünde ist.

Allmählich stellt sich heraus, dass die Van-Insassen selbst als Waise aufgewachsen sind oder im Stich gelassen wurden. Familie? Kennen sie nicht. Auch nicht der kleine Hae-jin, der ihnen zuläuft, als vierter im Bund der zeitlebens Abgelehnten. Nicht nur Kore-eda bringt bei allem nüchternen Sozialrealismus Empathie für sie auf, auch bei der Patchwork-Wahlverwandtschaft wächst mit dem Pragmatismus die Fürsorge.

Wer schiebt heute Nachtschicht und passt auf Woo-Sung auf? Wie näht man einen Knopf an? Adoptiveltern, die das Baby hässlich finden, kommen schon gar nicht infrage, und wenn sie noch so wohlhabend sind. Da sind die Großen sich bald einig. Der raue Ton weicht dem Humor, der Aufmerksamkeit, dem Verantwortungsbewusstsein. Zur Ruhe kommen sie dennoch nicht, denn Kore-eda flicht einen Kriminalfall in das Roadmovie ein. Bald sind noch ganz andere Leute hinter Moons Baby her.   

„Broker“ ist auch ein Film über den Boom der Babyklappen in Korea

Der inzwischen 60-jährige Kore-eda drehte nach der französischen Tragikomödie „La Verité“ mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche nun zum zweiten Mal im Ausland. Der in Cannes uraufgeführte, mit dem Darstellerpreis für Song Kang-ho ausgezeichnete Film greift einen koreanischen Missstand auf. Vor gut zehn Jahren verschärfte sich dort die Situation für oft minderjährige, alleinstehende Mütter in Korea, seit ein Gesetz vorschreibt, dass Frauen, die ihr Baby zur Adoption freigeben wollen, sich registrieren lassen müssen.

Mit der guten Absicht, Kindern später zu ermöglichen, ihre leiblichen Eltern zu kontaktieren. Und mit der traurigen Folge, dass die Zahl im Stich gelassener Säuglinge wuchs, in einem Land, in dem alleinstehende Mütter mehr diskriminiert werden als hierzulande. Damit stieg die Zahl der Babyklappen, als Hilfe für die Mütter und ihre Neugeborenen. „Broker“ ist auch ein Film über den sogenannten Babyklappen-Boom in Südkorea, und über eine rüde Klassengesellschaft.

Mehr und mehr fängt die anfangs statische, sich zunehmend wie eine Komplizin bewegende Kamera kleine Momente des Glücks ein, meist in schäbigem Ambiente und in spärliches Licht getaucht. Sei es in der Autowaschanlage, in Hotel-Absteigen oder beim Besuch im Waisenhaus. Wobei sich Kore-eda diesmal doch sehr auf seine bewährte Rezeptur verlässt. Die beste Familie ist am Ende die provisorische, aus der Not geborene. Selbst die Polizistinnen entdecken ihre Herzensgüte und schlagen sich auf die Seite der Underdogs. Ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.

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