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In Anführungsstrichen: Szene aus "Locus Solus" an der Volksbühne

©  Thomas Aurin

"Locus Solus" an der Volksbühne: Das schwarze Universum

"Das Universum krankt an sich selbst und an uns", schreibt Rymond Roussel in seinem Roman "Locus Solus". Krzystof Garbaczewski hat ihn jetzt an der Volksbühne inszeniert.

Ein ganz erstaunlicher Mensch, dieser Monsieur Martial Canterel. Er hat, wie wir per Video-Interview erfahren, „den Ruhm eines Mannes erlangt, der an den kosmischen Prozessen beteiligt war“. Das 20. und 21. Jahrhundert wurden in seinem Kopf geboren, wie die Futuristen anerkennend feststellen mussten. Er schüttelt bahnbrechende Erkenntnisse nur so aus dem Ärmel: „Wenn die Relativität von ihrem Schöpfer verstanden worden wäre, hätte er Unsterblichkeit erlangt“. Oder: „Schwarz ist das wahre Gesicht des Lichts“. Und, nicht zu vergessen, jeden Morgen besuchen ihn Vögel im 33. Stock des Hotels Waldorf-Astoria.

Wer dieser Tausendsassa eigentlich ist? Zunächst mal die Hauptfigur im 1913 erschienenen Roman „Locus Solus“ des französischen Schriftstellers Raymond Roussel. Den hat der junge polnische Regisseur Krzystof Garbaczewski jetzt an der Volksbühne in eine munter kreisende Performance-Installation übersetzt, die sich vor allem der leichten Lesbarkeit entzieht. Was schon mal sehr werktreu ist. Schließlich konnte Roussel zwar jede Menge Fans unter den Surrealisten gewinnen. Bei den Kohärenz-Spießern stießen seine Werke allerdings auf ein „fast allgemeines feindseliges Unverständnis“, wie der Schriftsteller frustriert in seinen Notizen festhielt.

„Locus Solus“ macht da keine Ausnahme. In dem durchaus unzugänglichen Buch führt der rastlos forschende Junggeselle Canterel eine Gruppe Vertrauter durch seinen Park und zeigt ihnen auf sieben Stationen eine Reihe ziemlich verblüffender Skulpturen und Erfindungen. Darunter eine Ramme, die Straßen mit Backenzähnen pflastert. Ein Bassin, das dank Aufladung mit Sauerstoff das Atmen auch unter Wasser erlaubt. Und den elektrisch wiederbelebten Kopf von Danton, der geniale Dinge von sich gibt, die leider nur für Lippenleser entzifferbar sind. Eine wilde Alchemie aus Jules Vernes sowie quer durch die Wissenschaften und Epochen schießenden Gedankenblitzen.

Bedeutung ist eben eine sehr flüchtige Angelegenheit

Vor allem aber war Roussel ein begnadeter Sprachmechaniker, der die Laute von Sätzen auseinandernahm und zu neuem Sinn oder Unsinn zusammenschraubte. Bedeutung ist eben eine sehr flüchtige Angelegenheit. Diesem Credo folgt auch Garbaczewski mit seiner „Locus Solus“-Adaption. Das Publikum sitzt auf der Drehbühne, verteilt auf zwei Tribünen, die durch eine Wand getrennt sind. Bloß keine Illusion von Gesamtbild aufkommen lassen. Ein paar Skulpturen stehen herum, unter anderem wird zwischen zwei Gipshänden ein Globus in die Luft gepustet. Über den Videoscreen flimmern Bilder aus der Volksbühnen-Werkstatt, wo Martial Canterel zwischen viel Holz in der allgemeinen Wissenschaftssprache Englisch vor sich hinphilosophiert. „Das gesamte Universum krankt in gewissen Phasen an sich selbst und an uns“. Wohl war!

Lucius Egroizard, ein geisteskranker Patient des Universalgelehrten Canterel, tritt hier als traumatisierter Vater auf, dessen Tochter totgetrampelt wurde. Frage: „Und wie fühlen Sie sich jetzt?“ Antwort: „Ich fühle mich nicht gut“. Performer in Gymnastikanzügen tragen einen überdimensionalen Zeigefinger herein und stupsen Zuschauer damit an. Und die verdiente Volksbühnen-Protagonistin Jeanette Spassova hält einen Monolog über eine Leiche im Hotel, die sich als Roussel entpuppt. Gestorben an einer selbst verabreichten Übermedikation, mithin „eines natürlichen Todes“.

Regisseur Garbaczewski, Jahrgang 1983, ist dem Vernehmen nach in seiner Heimat Polen ein Shootingstar. Hierzulande allerdings noch nicht durchgesetzt. Vor zwei Jahren hat er in Stuttgart das Publikum mit der Splattercollage „Caligula“ irritiert.

Für seine Volksbühnen-Inszenierung, die am Haus im Rahmen der „Schwarzen Serie“ läuft, greift er sich nun Motive aus dem Roman und lässt sie wie Glühbirnen kurz aufleuchten und wieder verglühen. Auch das ist ja durchaus im Geiste des Dadaisten Roussel, der angeblich nicht mal wusste, was Dadaismus ist.

Als kreisender Zuschauer kann man hier entweder einen Abend unter dem Motto „Nichts verstehen in künstlerisch betreuter Atmosphäre“ verbringen. Oder man fischt sich aus dem mäandernden Wort- und Bilderstrom, der von Unsterblichkeit, Elektrizität und dem „Infra-Gewöhnlichen“ erzählt, immer mal wieder interessante Gedanken. Zum Beispiel: „Ein chinesisches Sprichwort sagt, Ernsthaftigkeit verkürzt das Leben“.

Vorstellungen wieder am 9., 13., 15., 16. und 24. April.

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