
© Jan Woitas, dpa
Das tabuisierte Andere: Ethnisierung, Krieg und Sprache
Der PEN Amerika sagte auf Druck von Ukrainern ein Podium mit Russen ab - ethnisierte Konflikte wandeln Sprache um zum Nationalsignal
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Als der Londoner Buchhändler fragte, wonach ich suche, war mir der starke, deutsche Akzent des Mannes aufgefallen. „Ach, wir können vielleicht deutsch sprechen“ hatte ich spontan gesagt. Trocken erwiderte der ältere Herr: „I will never again speak a word of German in my life”. Es muss 1995 oder 1996 gewesen sein, als ich in London gearbeitet habe.
Schockiert verstehend wechselte ich zurück ins Englische. Mit der knappen Zurückweisung hatte der Buchhändler vermutlich preisgegeben, dass er als Verfolgter dem nationalsozialistischen Deutschland entkommen war. Das Deutsche war für ihn unerträglich geworden.
Oft habe ich mich später an die Begegnung erinnert. Etwa wenn Albanisch sprechende Leute im Kosovo, die perfekt Serbisch, ihre zweite Landessprache, konnten, nach dem Kosovokrieg allergisch auf jedes serbische Wort reagierten.
In der Gegenwart geschieht etwas Ähnliches in der Ukraine. Angehörige der ukrainischen Streitkräfte versichern zwar, es sei egal, ob sie untereinander Ukrainisch oder Russisch sprächen. Sie hätten ja ein gemeinsames Ziel. Zugleich wird Sprache in der Literatur- und Kunstsphäre, anschwellend ethnisiert.
Vor wenigen Tagen trat die in Moskau geborene, amerikanische Putin-Kritikerin Masha Gessen als Vizepräsidentin des PEN Amerika zurück. Sie hatte zum Thema „Flucht aus der Tyrannei: Schreiben im Exil“ ein Podium auf einem PEN-Festival moderieren sollen, zu dem zwei russische Dissidenten eingeladen waren. Falls Russen teilnähmen, hatten zwei ukrainische Autoren erklärt, würden sie dem Festival fernbleiben.
Chapeye schrieb an die New York Times, für ihn als Soldat der Ukraine sei es undenkbar, mit Russen „unter demselben Dach“ aufzutreten. Es würde „ein Schuldgefühl“ auslösen, gegenüber den von der russischen Armee Getöteten und Gefolterten. In Rücksicht darauf sagte der PEN Gessens Podium ab. Gessen wiederum findet, der PEN dürfe solchen Druck nicht tolerieren.
Der traumatisierte Londoner Buchhändler konnte nicht wissen, wer die Deutsche war, die seinen Laden betrat, wie sie dachte, fühlte, wusste. Misstrauen war für ihn ein Überlebensmittel geworden. Ukrainer, die heute russische Dissidenten boykottieren, wissen, dass es sich um Leute handelt, die eindeutig auf ihrer Seite sind. Tragischerweise tappen sie in eben die ethnische Falle, die Putin gestellt hat.
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