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Fabio Mauri, Sprache ist Krieg (Linguaggio è guerra) aus dem Jahr 1974.

© Estate of Fabio Mauri / Hauser & Wirth

Das Undarstellbare erfassen: Krieg und seine vielen Gesichter in Turin

Eine Gruppenausstellung im Castello di Rivoli in Turin erforscht, wie Kunst auf Erfahrungen gewaltsamer Konflikte reagieren kann

Von Alexandra Wach

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Beim Stichwort Krieg hat man propagandistische Schlachtengemälde vor dem inneren Auge. Genau um dieses Genre geht es hier nicht, sondern um die Art und Weise, wie Künstler und Künstlerinnen es schaffen, das Undarstellbare von Terror, Verwüstung, Tod und Verrohung in Kunst zu fassen. Ein großes Vorbild ist da immer noch Francisco Goya. Im frühen 19. Jahrhundert hat seine gleichnamige Grafikfolge „Die Schrecken des Krieges“ Maßstäbe gesetzt. Das abgründige Bild, das der Spanier von der menschlichen Natur zeichnete, hat angesichts nicht enden wollender Kriege nicht an Aktualität verloren. So wundert es nicht, dass seine „Desastres“ gleich am Anfang der von Carolyn Christov-Bakargiev und Marianna Vecellio kuratierten Schau „Künstler in Kriegszeiten“ zu sehen sind.

Vom Trauma des Krieges

Goya ist einer von 30 zwischen 1746 und 1995 geborenen Künstlern und Künstlerinnen, die von dem Duo exemplarisch ausgewählt wurden, um zu zeigen, welche Spuren traumatische Kriegserfahrungen in der künstlerischen Produktion hinterlassen können. In den Räumen, die den Auswirkungen des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs gewidmet sind, treffen mehrere Perspektiven aufeinander. Etwa Lee Miller, die ohne den Zweiten Weltkrieg vielleicht „nur“ als Fotomodell und surrealistische Fotografin in Erinnerung geblieben wäre. Sie war nach dem D-Day eine der wenigen Frauen, die als Kriegskorrespondentin akkreditiert waren. Sie berichtete über das befreite Konzentrationslager Dachau.

Motive der gestapelten Skelette

Ihren journalistisch kühlen Blickwinkel konterkarieren die erschütternden Gemälde und Zeichnungen des slowenisch-italienischen Malers Zoran Music, der selbst in Dachau interniert war. Der spätere mehrfache Documenta-Teilnehmer dokumentierte die Situation im Lager und kehrte auch noch Jahrzehnte später zu den Motiven gestapelter Skelette zurück, während die im Alter alkoholkranke Miller bis zu ihrem Tod nie wieder über das Gesehene sprach. Einen weiteren Betrachtungswinkel öffnet das Gemälde „Medusa – Rachel – Pieta“ der Künstlerin und Psychoanalytikerin Bracha L. Ettinger. Die in Tel Aviv geborene Tochter polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender erfuhr selbst eine Nahtoderfahrung im Alter von nur 19 Jahren, als sie während des Sechstagekrieges in einem Helikopter abstürzte. Es brauchte Jahrzehnte, bis sie den Gedächtnisverlust überwand und ihren Stil entwickelte, um von den Wunden über Generationen anhaltender Verletzungen zu erzählen.

Irritiert steht man angesichts der bisherigen Ansätze vor einem Gemälde von Salvador Dalí, der sich bekanntlich für keine menschenverachtende Provokation zu schade war, bei Franco zur Audienz antrat und den Diktator in einem Atemzug mit Velázquez, „die beiden Genies unseres Volks“, nannte. Bestand die Absicht der Kuratorinnen etwa darin, mit Dalí das Beispiel eines opportunistisch den Krieg bejahenden Ex-Linken aufzuzeigen? Da in dem Wandtext jeglicher Hinweis fehlt, ist anzunehmen, dass dies nicht intendiert war. Auch die seltsam harmlosen Zeichnungen von Vietcongs, die zwischen 1967 und 1973 entstanden sind, lassen die Stirn runzeln. Der von der Kraft der Kunst überzeugte Ho Chi Minh persönlich animierte die Soldaten dazu, in den Kampfpausen zum Zeichenstift zu greifen.

Kraftvoll hingegen Nikita Kadans zweistöckige Installation „Shelter II“ (2023), eine schwarze Höhle, nachempfunden den Keller-Schutzräumen, in denen Ukrainer gerade vor den Bomben Zuflucht suchen. Oder auch die Installation „Every Tiger Needs a Horse“ (2022–23) des afghanischen Künstlers Rahraw Omarzad. Werke wie diese und unzählige anregende Querverbindungen versöhnen am Ende mit einem Parcours des Schreckens, den man beklemmt, aber auch mit Hoffnung auf Heilung durchläuft.

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