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Kultur: Denklöwen

Ulrich Raulffs „Zeitschrift für Ideengeschichte“

Von Gregor Dotzauer

Die gebildete Öffentlichkeit ist ein scheues Ding. Beschworen von Günter Jauchs „Wer wird Millionär?“-Show, umworben von den Verlagen und verzweifelt gesucht von einer im Universitätsbetrieb gefangenen Professorenschaft, hat sie viele Gesichter und keines. Auch die von Ulrich Raulff und dem Marbacher Literaturarchiv herausgegebene „Zeitschrift für Ideengeschichte“, deren erste Nummer heute zum Preis von zwölf Euro im Verlag C.H. Beck erscheint, wendet sich an eine „gebildete Öffentlichkeit“, die der „falschen Alternative von Feuilleton und Fachorgan“ entkommen will. Doch gibt es dafür nicht schon „Merkur“ und „Sinn und Form“? Zumindest politisch ist zwischen den Antipoden noch Platz. Wo der „Merkur“ vom linken Glauben an die Kritische Theorie und die Veränderbarkeit der Welt abgefallen ist, sucht „Sinn und Form“ schon wieder nach neuen, religiösen Konzepten.

Man sollte Raulff und seinen Kooperationspartnern von der Klassik Stiftung Weimar und der Herzog-August-Bibliothek nicht weltanschauliche Gleichgültigkeit bescheinigen, doch immerhin eine Erweiterung der intellektuellen Koordinaten – und eine bewusste Überschreitung von Fächergrenzen. Titel und Konzept der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift beziehen sich auf das vom amerikanischen Ideenhistoriker Arthur O. Lovejoy 1940 gegründete „Journal of the History of Ideas“. Mit Reinhart Koselleck, dem Bielefelder Begriffshistoriker sowie dem Münsteraner Philosophen und Metapherngeschichtler Hans Blumenberg bezieht sie sich auf zwei Denker genuin deutscher Tradition, die nie so populär werden konnten wie die Frankfurter Schule um Horkheimer und Adorno oder die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Einem dritten Geist, der auf dem besten Weg ist, postum die neue Leitfigur der Kulturwissenschaften zu werden, dem Hamburger Ikonologen Aby Warburg, huldigen gleich zwei lange Essays. Ulrich Raulff untersucht Warburgs Wort von den Juden als den „Patienten der Weltgeschichte“, und Jost Philipp Klenner liest ein kürzlich wieder aufgetauchtes Foto von Benito Mussolini, der an der Seite seines Chauffeurs mit seiner Löwin auf dem Schoß spazieren fährt.

Stilistisch sind alle Beiträge prägnant, manche glänzend formuliert – abseits des akademischen Graubrots, das sonst oft als Wissenschaft serviert wird. Voraussetzungslos zu lesen ist aber nur ein Teil von ihnen. Dem eigenen Anspruch zum Trotz wenden sie sich eher an ein gelehrtes Publikum. Eine schöne Ausnahme – im Rahmen des Schwerpunkts „Alte Hüte“ – ist Helmuth Lethens Untersuchung zur Konjunktur des Begriffs Untergrund. Was Geisteswissenschaften heute zum Verständnis der Gegenwart beitragen können, entwickelt er am Beispiel von Saddam Husseins Erdloch. Für den Anfang ist das mehr als genug.

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