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Kultur: Depeche Mode: Sag mir, wo die Synthis sind

Fast scheint es so, als seien die Musiker von Depeche Mode erst jetzt, nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte, etwas beweglicher geworden. "It was like Rod Stewart fronting Kraftwerk" - so hatte das englische Musikmagazin "Q" seinen Unmut über die Präsenz von Depeche Mode auf deren "Violator"-Tournee von 1990 formuliert: ein gutaussehender Possenreißer als Blickfang, die Begleitmusiker im Hintergrund, versteckt hinter ihren Keyboards.

Fast scheint es so, als seien die Musiker von Depeche Mode erst jetzt, nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte, etwas beweglicher geworden. "It was like Rod Stewart fronting Kraftwerk" - so hatte das englische Musikmagazin "Q" seinen Unmut über die Präsenz von Depeche Mode auf deren "Violator"-Tournee von 1990 formuliert: ein gutaussehender Possenreißer als Blickfang, die Begleitmusiker im Hintergrund, versteckt hinter ihren Keyboards. Sicher, es gab eine Zeit, da war die Rollenverteilung innerhalb der Band ungerecht. Da gab es nur einen Star, den Sänger Dave Gahan. Selbst wenn Martin Gore und Andrew Fletcher, die beiden Musiker im hinteren Bühnenbereich, im Kopfstand auf die Tasten gehauen hätten - Gahan hätte ein Hüftschwung genügt, und das Publikum wäre bis zum Ende des Konzertes auf seiner Seite geblieben.

Aber es gibt da immer öfter eine Gitarre zu hören in den Alben von Depeche Mode, und die kann Gahan nicht spielen. Außerdem gibt es da neuerdings auch ein Schlagzeug, derlei Instrumente verlangen geradezu einen exhibitionistischen Einsatz. So hat das Trio für seine aktuelle "Exciter"-Tournee nicht nur einen Drummer engagiert - Martin Gore, der scheue Songwriter, hat sich auch dazu durchringen können, bei fast jedem Stück Gitarre zu spielen, ganz vorne an der Rampe.

Der Blowjob an der Gitarre

Gewonnen allerdings haben Depeche Mode mit dieser Startaufstellung nichts. Den Entschluss, sich als interaktionistisches System zu präsentieren, hätten Depeche Mode nicht treffen sollen. Zuweilen schmerzt es geradezu, sich ihr ausverkauftes Konzert in der Berliner Waldbühne anzusehen. Keyboarder Andrew Fletcher gibt sich gar nicht erst die Mühe, sein Playback choreographisch zu begleiten. Vom Jubel der Fans hingerissen, passiert es an diesem Abend mehrmals, dass der taktil unbeholfene Fletcher über die Dauer einer Strophe mitklatscht, anstatt in die Tasten zu greifen. Schlimmer noch ist nur die Kombination Gahan / Gore. Schon bei "Dead of the Night", dem Opener, begibt sich Gahan in die furchtbarste aller Rockposen: er kniet vor Gore und simuliert einen Blowjob an dessen Gitarre. Bei neueren Stücken wie "The Sweetest Condition" scheint Gahan hingegen mit der Zurückhaltung der Fans nicht zurechtzukommen. "Let me see your Hands" fordert er vehement von einem Publikum, das jedes "Yeah" mit begeistertem Kreischen kommentiert.

Warten auf die Backlist

Auch die setlist ist in ihrem Aufbau alles andere als geschmackssicher. Da Depeche Mode sich seit ihrem vorletzten Album "Ultra" als eher bluesige Band verstehen, sind auch ihre Stücke schwerfälliger geworden. Ihnen sind die stilprägenden Synthi-Melodien abhanden gekommen, die sie überhaupt erst in die großen Stadien geführt haben. Dass Depeche Mode fast alle neuen Stücke live vorstellen, ist die übliche PR für das aktuelle Album. Aufregend aber ist - dem Titel zum Trotz - dieses "Exciter"-Programm nicht. Es dauert eine Stunde, bevor die Band mit "Enjoy the Silence" einen alten Hit anstimmt. Das kommt viel zu spät. Erst die Zugaben, "Black Celebration" und das famose "Never let me down again", zeigen überhaupt erst die Möglichkeiten auf, die Depeche Mode zur Verfügung stehen: Bombast, antreibende Rhythmik und ein hymnischer Refrain, so unwiderstehlich, dass sich das Publikum in einen einzigen Pulk klatschender Händen verwandelt. Das hätte die Band zwei Stunden lang haben können, ihre backlist von Klassikern ist groß genug. So ist es mehr den hartnäckig treuen Fans als den rockistischen Bemühungen der Band auf der Bühne zu verdanken, dass Depeche Mode am Ende nicht ausgegähnt, sondern bejubelt werden

Sassan Niasseri

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