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Kultur: Der Dreck der frühen Jahre

Ein

von Christian Schröder

Das Glücksversprechen des Rock’n’Roll lässt sich nur dadaistisch zusammenfassen: „Awop Bop A Loo Bop Alop Bam Boom!“ Vor genau einem halben Jahrhundert, im September 1955, nahm der Sänger Richard Wayne Penniman, der sich selber „Little Richard“ nannte, den Song „Tutti Frutti“ auf und stieß dabei zum ersten Mal seinen legendären Schlachtruf aus. Es ging darum, die Erwachsenen zu erschrecken und die Ekstasen des Augenblicks auszukosten. Der Rock’n’Roll feiert seither das Hier und Jetzt, mit den Relikten seiner Vergangenheit geht er entsprechend unsentimental um. Das StaxStudio in Memphis, wo Soul-Götter wie Isaac Hayes und Booker T. aufnahmen, wurde abgerissen. Im Londoner Flamingo Club, in dem die Rolling Stones ihren ersten Auftritt absolvierten, residiert heute ein Frühstücks-Pub. Und an den Star Club in Hamburg, wo die Beatles spielten, erinnert nur noch eine Gedenkplakette in einer Neubau-Fassade.

Das nächste Baudenkmal, das ins Rock’n’Roll-Nirwana verschwindet, ist möglicherweise das CBGB in New York. Der Mietvertrag für den an der Bowery im East Village gelegenen Club läuft am 31. August aus. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Besitzer Hilly Kristal die neue, drastisch erhöhte Monatsmiete in Höhe von 40000 Dollar nicht aufbringen können. CBGB, das stand eigentlich für „Country, Bluegrass, Blues“. Doch weil sich nach der Eröffnung Ende 1973 die betuchten CountryFans nicht in den als kriminell verschrieenen Stadtteil trauten, zogen in den winzigen Saal schon bald die Pop-Kellerkinder ein. Lange galt das CBGB als Synonym für die New Yorker Punkszene, die Ramones, Blondie, Television und die Talking Heads spielten hier, als sie noch niemand kannte. Nicht einmal 400 Zuschauer passen in den Raum, gerade die Klaustrophobie macht die Konzerte unvergesslich. „Wer hier nie halb totgedrückt und mit Bier begossen wurde, der weiß nicht, was Punk bedeutet“, schwärmte das Stadtmagazin „New York“.

Inzwischen ist der Dreck aus dem East Village verschwunden, das Viertel gilt als hip und teuer. So werden wohl auch „Save CBGB“-T-Shirts und Benefiz-Aktionen von David Byrne und Debbie Harry den Club nicht retten können. Doch wie sangen einst die New York Dolls? „You can’t put your arms around a memory.“ Erinnerungen lassen sich nicht umarmen. Auch Punk-Veteranen müssen das Loslassen lernen.

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