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Geschichte im Blick. Hans Blumenberg (1920-1996).

©  Universität Münster/dpa

100 Jahre Hans Blumenberg: Der große Philosoph der Metaphern

Kaum ein deutschsprachiger Denker hat so viel Aufmerksamkeit erfahren wie Hans Blumenberg. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden. Ein Blick auf sein Nachwirken.

Sebastian Tränkle ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Ende des Jahres erscheint sein Buch „Nichtidentität und Unbegrifflichkeit. Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg“.

Wann immer der runde Geburtstag eines eminenten Philosophen ansteht, ist der Name in aller Munde. Die Verlage warten mit Neuerscheinungen auf, an der Akademie wird ein Tagungsmarathon ausgetragen und das Feuilleton entdeckt den Menschen hinter dem Denker.

Nun ist der Höhepunkt eines laufenden Jubiläumsjahres erreicht: Am heutigen Montag wäre Hans Blumenberg 100 Jahre alt geworden. Das bietet Anlass zur Frage, wie es um sein philosophisches Nachleben steht.

Kaum ein deutschsprachiger Denker hat in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit erfahren. Der Flut an Veröffentlichungen aus dem im Deutschen Literaturarchiv Marbach verwahrten Nachlass entsprechen die regen Aktivitäten einer internationalen Blumenberg-Forschung.

Deren Stand wird bald ein im Metzler Verlag angekündigtes Handbuch einsichtig machen. Neben dem Werk wird auch das Leben des großen Unbekannten der deutschen Nachkriegsphilosophie mittlerweile mit allen Mitteln ausgeleuchtet: Bei Sybille Lewitscharoff wird er zur Romanfigur und in Christoph Rüters „Der unsichtbare Philosoph“ zum Protagonisten eines dokumentarischen Roadmovies.

Pünktlich zum Jubiläum hat Rüdiger Zill beide Interessen zusammengeführt und bei Suhrkamp eine intellektuelle Biografie dieses absoluten Lesers (so der treffende Titel) vorgelegt.

Was im Feuilleton gepriesen wird, reicht oft nicht für die Wissenschaft

In der akademischen Philosophie hingegen spielt Blumenbergs Denken gegenwärtig kaum eine Rolle. Das mag zunächst an einem von der analytischen Philosophie geprägten methodischen Zugriff liegen. Er dominiert auch dort, wo die Denker (wie Kant und Hegel) oder die Probleme der „kontinentalen“ Tradition bearbeitet werden.

Davon mit bedingt, hat sich ein Verständnis von Philosophie etabliert, das mit Geschichte wenig anzufangen weiß. Kein Wunder also, dass Blumenbergs Denken, das aus den Tiefen der Geistesgeschichte schöpft, wenig Anklang findet.

Hinzu kommen Darstellungsformen wie Essay, Glosse und Aphorismus. Was im Feuilleton meist als „literarisch“ gepriesen wird, genügt nicht den formalen Standards, wie sie etwa von Peer-Review-Verfahren durchgesetzt werden. Schließlich hat ein Denken, das Umwege präferiert, einen schweren Stand in einer Fachkultur, in der logische Stringenz als Primärtugend angesehen wird.

Irritationen für die philosophische Gegenwart

Die Blumenberg-Rezeption findet denn auch eher in den Nachbardisziplinen statt. Neben der editorischen Arbeit am Nachlass dominieren Forschungsansätze, die das Werk rekonstruieren. Provoziert vom Bezugsreichtum der gelehrten Bücher wird es Gegenstand ideengeschichtlicher Darstellungen, wie in Kurt Flaschs Studie zum frühen Blumenberg.

Oder die vielfältigen Schreibweisen wecken die literaturwissenschaftliche Neugier. Nun ist das alles zu begrüßen. Und doch bleibt angesichts der wenigen Versuche, systematisch an Blumenbergs Philosophie anzuschließen, ein Nachgeschmack. Denn die eigentliche Würdigung eines Philosophen liegt nicht in musealisierenden Elogen, sondern in der lebendigen Auseinandersetzung mit seinen Thesen.

Blumenbergs Werk hält sowohl Anknüpfungspunkte als auch Irritationen für die philosophische Gegenwart bereit. So weist seine Grundhaltung Nähen zu solchen Ansätzen auf, die Philosophie weniger als eine strenge Wissenschaft verstehen.

Ihnen geht es nicht um unbezweifelbare Aussagen und allgemeingültige Erklärungen, sondern um den ethischen oder erkenntnistheoretischen Wert von individuellen und alltäglichen Erfahrungen. Bei Philosophen wie dem 2018 verstorbenen Stanley Cavell oder dem in Zürich lehrenden Michael Hampe führt das dazu, literarischen Texten oder Filmen philosophische Dignität zuzusprechen. Und wie bei Blumenberg wirkt das auf die eigene Darstellungsform zurück.

Metaphern im Alltag

Eine Herausforderung der Sichtverengung auf das Systematische geht von Blumenbergs historischem Philosophieren aus. Es sucht, systematische Probleme im Horizont ihrer Lösungsversuche verständlich zu machen. So wartet seine nachgelassene Beschreibung des Menschen nicht mit einer Definition des Menschen auf, sondern sammelt zunächst „Definitionsessays“, historische Versuche, eine solche Bestimmung zu geben.

Eine dergestalt unsystematisch auftretende Philosophie bereitet allerdings einer systematischen Anknüpfung Schwierigkeiten. Denn bisweilen geht solches Vorgehen mit einer irritierenden Zurückhaltung bezüglich der eigenen theoretischen Positionierung einher.

Doch kann es nicht um die Übernahme von Blumenbergs Positionen gehen. Wer sich, wie jüngst Felix Heidenreich in einem bei Metzler erschienenen Essay zur „Politischen Metaphorologie“ fragt, was man heute mit Blumenbergs Denken „machen“ kann, der landet bei dessen Verfahren.

Vor allem die Metaphorologie, die den Funktionen von Metaphern in der Geistesgeschichte nachspürt, erweist sich als vielversprechend. Das gilt besonders dort, wo sie oft verdeckt wirkende Leitmetaphern herausarbeitet. Ein prominentes Beispiel ist das Licht als Metapher der Wahrheit.

Alltägliche Formulierungen wie „Licht in eine Sache bringen“ belegen ebenso die Macht solcher Metaphorik wie die Rede von der „Aufklärung“. Mitunter kann sie unser Verständnis von der Welt grundsätzlich strukturieren. Die Metaphorologie zeigt, dass Leitmetaphern ebenso orientierend wie kanalisierend auf das Denken, Sprechen und Handeln einwirken können.

Bedeutungsgeschichte von Metaphern

Blumenberg hat sich für die politischen Konsequenzen der kanalisierenden Wirkungskraft weniger interessiert. Unter dem Begriff des Framing werden sie in der kognitionswissenschaftlichen Metaphernforschung von George Lakoff und Elisabeth Wehling thematisiert. Aber auch hier hat die Metaphorologie – der neurowissenschaftliche Deutungen kultureller Phänomene fremd bleiben – mehr anzubieten.

Dank ihres Tiefenblicks zeigt sie, wie Metaphern an einer langen Bedeutungsgeschichte voller „Umbesetzungen“ teilhaben. Überdies indizieren einzelne in der Rede auftretende Metaphern ein Assoziationssystem, das ihrem jeweiligen Gebrauch zugrunde liegt.

Um ein Beispiel von Kant aufzugreifen: Die Darstellung eines autoritär regierten Staates als Handmühle verweist auf eine mechanische, die Darstellung eines verfassungsmäßig regierten Staates als Organismus auf eine organische „Hintergrundmetaphorik“. Es liegt nahe, solche Metaphernkomplexe auf ihre Einbettung in soziale Funktionszusammenhänge hin zu befragen.

Kritische Kraft der Metaphorologie

Hier enttäuscht Blumenberg allerdings: Zunächst interessiert er sich für die geistesgeschichtliche Funktion, später für die anthropologische Grundfunktion von Metaphern. Das bezeichnet den Punkt, an dem mit der Metaphorologie über die Metaphorologie hinauszugehen ist. Die geistesgeschichtlichen Befunde gilt es mit sozial- und kulturgeschichtlichen Untersuchungen abzugleichen.

Ihre kritische Kraft entfaltet die Metaphorologie schließlich dann, wenn die von ihr aufgezeigten Metaphernkomplexe gesellschaftstheoretisch durchleuchtet werden. Sie sind im Horizont von etablierten Denk- und Praxisformen zu dechiffrieren.

Jene Hintergrundmetaphorik des Organischen etwa hat in der Moderne eine ideologische Aufladung erfahren. Sie wirkt in der politischen Idealvorstellung einer gewachsenen, heimat- und erdverbundenen Gemeinschaft. In ideologischen Formationen wie dem modernen Antisemitismus bildet das einen Gegenentwurf zur funktionalistischen modernen Gesellschaft.

Wie die Metaphorik des organischen Gemeinwesens eine normative und letztlich handlungsleitende Kraft entfaltet, zeigt sich an der Identifikation von Juden als Parasiten und Krankheitserregern, die den „Volkskörper“ befielen. Auch dort, wo Populismen gegenwärtig den gewachsenen Volkswillen gegen die Technokratie der Institutionen anrufen, sind metaphorische Alternativen wie die von organisch und mechanisch im Spiel.

Als „Kritik der Kulturkritik“ (Blumenberg) oder „Jargonkritik“ (Adorno) wird Metaphorologie zur Ideologiekritik. Ein solches Verfahren ist auf traurige Weise an der Zeit – und bringt die Philosophie wieder in Kontakt mit historischen Gegenständen.

Sebastian Tränkle

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