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Majestätisch. Colin Firth (links) genoss gestern Abend mit seiner Filmpartnerin Helena Bonham Carter und Regisseur Tom Hooper sichtlich den Auftritt auf dem Roten Teppich am Friedrichstadtpalast. Kurz vor Schluss der Berlinale setzte die Aufführung von „The King’s Speech“ nochmal ein Glanzlicht, auch wenn der Film außer Konkurrenz läuft. Der 50-Jährige Firth gilt wegen seiner überragenden Darstellung des britischen Königs Georg VI. als Anwärter für den Oscar.

© dapd

Berlinale: Der königliche Augenblick

Colin Firth hätte allen Grund abzuheben. Für seine Rolle des stotternden Königs in „The King’s Speech“ gewinnt er alle Preise. Und bleibt doch angenehm am Boden.

Schon die ersten Minuten sind ein Kabinettstück, ein einziger langer Take, der sich luxuriös viel Zeit nimmt in den eng getakteten Interview-Slots der Filmpromotion. Die Frage hatte sich um Sprache gedreht – nicht sehr überraschend bei einem Film namens „The King’s Speech“. Es ging um Colin Firth’ eigene Sprachkenntnisse – er ist mit einer Italienerin verheiratet, hat sich 2009 in Venedig in fließendem Italienisch für seinen Preis für „A single Man“ bedankt –, aber auch darum, was es heißt, sprechen zu können oder eben nicht. Der 50-Jährige setzt an, spricht und zögert, verbessert sich, setzt noch mal an: Der Akt des Sprechens als Akt des Denkens, idealtypisch vorgeführt, ein filmreifer Monolog.

Der britische Schauspieler ist für seine Rolle des stotternden Königs George VI. für den Oscar nominiert, der Film hat bislang so ziemlich alle Preise abgeräumt, die zu haben waren, am Mittwochabend setzt er als Gala-Vorpremiere im Friedrichstadtpalast den Hochglanzpunkt des Festivals. Ab Donnerstag läuft der Film auch regulär in den Kinos. Aber der Mann, auf den all dieser Ruhm herabprasselt, sitzt sympathisch ungestylt am Mittwochmittag im Hotel Adlon, mit grauem Hemd, grauer Hose und grauem Pullover, das Haar verwuschelt, die Brille auf der Nase. Er hätte sich mit ein paar nichtssagenden Antworten aus der Affäre ziehen können, Interviews hat er genug gegeben rund um die Welt. Aber Colin Firth hat keine Lust auf Phrasen, oder auf endlose Wiederholungen. Wenn man schon sprechen muss – dann bitte richtig.

Es geht in „The King’s Speech“, der mit der berühmten Radioansprache George VI. vor dem Kriegseintritt Großbritanniens endet, um die Macht der Worte: ein Generalthema für Schauspieler. Doch das Ungesagte ist mindestens so wichtig, findet Firth: „Wenn ich Worte sage, dann meine ich genauso das Schweigen, die Blanks. Gutes Schreiben schließt das mit ein, was man nicht sagen kann, was man vermeiden will, die Fehler, die Euphemismen. Nur schlechte Drehbücher sagen alles. Wenn Menschen genau das sagen, was sie meinen, ist das eine Soap-Opera. Große Autoren haben immer die Grenzen der Sprache im Blick. Selbst Shakespeare beschäftigt sich mit Selbstwidersprüchen und der Unfähigkeit, die richtigen Worte zu finden. Es ist ein Paradox: Schreiben ist alles, und trotzdem weiß jedes große Schreiben davon, dass Worte begrenzt sind.“

Wenn er es sich aussuchen könnte, wäre Colin Firth am liebsten Schriftsteller geworden. Oder Musiker. Ein Künstler jedenfalls. Aber ist die Schauspielerei keine Kunst? „Der Schauspieler muss die Zwischenräume zwischen den Worten bewohnen, und den Faden aufnehmen, wo der Autor losgelassen hat. Wir geben Gesten, Nuancen, Intonation hinzu, und geben den Beschränktheiten damit Leben und Menschlichkeit. Das ist ganz sicher der Fall bei der Figur George VI.“

Dieser George, der so ungern König werden wollte und sich am Ende seiner Pflicht stellt, das ist eine Paraderolle – und Colin Firth hätte nichts gegen eine Fortsetzung einzuwenden, es wäre noch viel über die Figur zu sagen. Dass er mit kritischen Worten über die englische Monarchie zitiert wurde, ist ihm hingegen gar nicht recht, da ist er echter Brite. „Ich habe ziemliche Hochachtung vor der Royal Family, vor allem natürlich vor George VI. und dem Dilemma, in dem er sich befindet. Aber auch Prinz Charles nutzt seine Position auf erstaunliche Weise. Und auch die Queen ist bewundernswert – sie hat ihre Pflicht erkannt und hält daran fest. Großbritannien ist eine Demokratie. Dass ich einen König spiele, heißt ja nicht, dass ich ein Monarchist bin. Stephen Frears ist nach ,The Queen’ gefragt worden, ob er ein Monarchist ist, und er hat gesagt, ich bin ein Queenist. In dem Sinne bin ich es auch. Ich bin nicht gegen die Royal Family. Ich bin sogar eigentlich ein Fan.“

Vor allem aber ist er ein Schauspieler, der mit den Jahren immer besser geworden ist, von der Mädchenschwarmrolle des Mr. Darcy in der BBC-Verfilmung von „Stolz und Vorurteil“ bis zu den großen Rollen in „A single Man“ und „The King’s Speech“. Hier ist einer auf der Höhe seiner Kunst. Dass es so oft historische Rollen sind, ist naheliegend: Colin Firth ist Sohn eines Historikers, seine Großeltern lebten in Indien, sein Großvater hat Gandhi und die Unabhängigkeitsbewegung erlebt, seine letzte Großtante ist in diesem Jahr mit 102 gestorben. Was eben noch Gegenwart war, wird Geschichte. Und mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts haben wir noch lange nicht abgeschlossen, findet der Schauspieler. „Mit Blick auf die Vergangenheit verstehen wir mehr über die Gegenwart. Es gibt auch in ,The King’s Speech’ Dinge, die auf schockierende Weise gegenwärtig sind. Sind Menschen immer noch einsam? Ja. Gibt es immer noch Protokollvorschriften, die ein Statussymbol sein sollen, aber uns eigentlich nur von den anderen trennen? Ja. Haben Menschen immer noch Schwierigkeiten mit Intimität? Ja. Und haben Menschen immer noch Angst davor, ihre Rolle nicht erfüllen zu können? Ja. Alles ist nur ein Moment in der Geschichte, auch der jetzige Moment.“

Doch manchmal gibt es besonders glückliche Momente. Jetzt ist der Moment des Colin Firth. Er schreibt Geschichte.

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