Kultur: Der mediale Störenfried
Intellektueller in finsteren Zeiten: Umberto Eco präsentiert gesammelte Kolumnen
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Als Umberto Eco im Jahr 1964 unter dem Titel „Apokalyptiker und Integrierte“ die italienische Originalausgabe seiner Aufsätze über die Massenkultur veröffentlichte, bedurfte das noch einer Rechtfertigung. Heftchenromane, Comic Strips und Fernsehserien waren weder für die universitäre Forschung noch für die seriösen Feuilletons satisfaktionsfähig. Eco indessen wollte die Perspektivenbeschränktheit der hochkulturellen Kritik vermeiden, ohne jedoch auf die Seite derjenigen zu wechseln, die sich intellektuell ergeben, die Hände erheben und Beifall klatschen. Er hielt es für möglich, die Kulturindustrie zu kritisieren, ohne Apokalyptiker zu sein, und an ihren Hervorbringungen Spaß zu haben, ohne sich als Fürsprecher in sie integrieren zu lassen.
Zwanzig Jahre später erschien im Kielwasser des Romanerfolgs „Mein Name der Rose“ die Sammlung auf Deutsch. In einem eigens dafür verfassten Vorwort sinniert er, ob er Mitte der Achtziger „noch ähnlich optimistisch wäre“, wie er es Mitte der Sechziger gewesen ist. Heute, weitere zwei Jahrzehnte später, hat sich der dritte Weg, den Eco zu gehen versuchte, als steinig erwiesen. Den Künstlern und Intellektuellen, die dem medialen Markt ausgeliefert sind, wie es ihre auch nicht beneidenswerten Vorgänger in früheren Zeiten den Mäzenen waren, bleibt trotzdem nichts anderes übrig, als auf diesem Weg weiter voranzustolpern, die kleinen Steine beiseitezuräumen und die großen zu umgehen.
In seinem Vorwort Mitte der Achtziger sprach Eco von einer massenmedialen „Schlacht zwischen einigen Dutzend unabhängiger Kanäle“ und stellte bedauernd fest, dass „das Spiel der Konkurrenz dazu beiträgt, die Produkte immer vulgärer werden zu lassen“. Im einleitenden Text seines neuesten Buchs mit Zeitungsartikeln und Kolumnen aus den Jahren 2000 bis 2006 steht wiederum ein Satz, der ohne seinen ironischen Kontext ein Prachtexemplar apokalyptischer Klage wäre: „Doch die Zeiten sind finster, die Sitten verdorben.“ Was ist passiert?
Die beklagenswerte Konkurrenz privater Fernsehkanäle, die ihre Produkte immer vulgärer werden ließ, hat sich in das noch beklagenswertere Quasi-Monopol eines Mannes verwandelt, dessen von der Vulgarität seiner TV-Sender getragener Aufstieg ihn an die Spitze des Staates geführt hat. Berlusconi ist seit einigen Monaten nicht mehr im Amt, aber was er aus Italien in den Jahren seiner Regierung gemacht hat, liegt Eco schwer auf der Seele. In seinen Artikeln kommt hinter der spielerischen Eloquenz immer häufiger ein verzweifelter Appell an die Vernunft zum Vorschein. Berlusconi ist offenbar ein so großer Stein auf dem dritten Weg zwischen Apokalyptikern und Integrierten, dass zum Umgehen des Steines dieser Weg verlassen werden muss.
Das Drama in kurzen Texten, das sich im neuen Buch abspielt, hat damit zu tun, dass Ecos Aufstieg als öffentlicher Intellektueller in die gleiche Epoche fällt wie Berlusconis Aufstieg zum Medienboss und Landeschef. Eco verdankt diesen Aufstieg nicht nur dem Erfolg seines ersten Romans, sondern auch der schon erwähnten Tatsache, dass Phänomene der Massenkultur für Intellektuelle lange kein ernsthafter Gegenstand waren.
Heute ist das ganz anders. Inzwischen wird massenweise promoviert über die neueste Staffel einer TV-Soap oder über den Unterschied zwischen der Talkshow-Moderatorin als Kaffeetante und dem Talkshow-Moderator als Rätselonkel geschrieben. In dieser Stampede des öffentlichen Meinens hält Eco inne und dreht sich tapfer um, wohl wissend, dass unter die Hufe kommen kann, wer nicht mit den Rindviechern rennt.
Eco selbst ist durch seine Berühmtheit geschützt, aber er weiß, dass diese Position die Ausnahme unter den Intellektuellen ist, die zu Markte gehen, ihre Produkte verkaufen, sich mithin nach den Wünschen des Käufers richten müssen. Die „intellektuelle Funktion“, wie Eco sagt, besteht darin, zu stören, dazwischen zu reden und das wieder kompliziert zu machen, was im sogenannten öffentlichen Diskurs vereinfacht wurde. Eine unmögliche Aufgabe in Konkurrenz mit Quatsch und Gefühl.
Die kurzen und kurzweiligen Kolumnen Ecos sind wie Mosaikstückchen. Wenn man sie mitdenkend nebeneinanderlegt, kommt allmählich ein Bild zum Vorschein, das Big Brother verdammt ähnlich sieht, nicht in der Ausgabe unserer niedlichen Container-Frätzchen, sondern in der Berlusconi-Fassung. Berlusconi ist zwar aus dem Amt, aber nicht aus dem Spiel. Er personifiziert die mediale Macht, Eco den medialen Störenfried.
Umberto Eco: Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Hanser Verlag, München 2007. 319 Seiten, 23,50 €.
Bruno Preisendörfer
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