Kultur: Der pragmatische Visionär Baeck-Preis:Amos Oz gratuliert Joschka Fischer
Was früheren Epochen dynastische Hochzeiten waren, sind heute Preisverleihungen: Sie schaffen verlässliche Beziehungen. Sind diese so stark belastet wie die zwischen Deutschen und Juden, dann kommt Auszeichnungen eine besondere Bedeutung zu.
Was früheren Epochen dynastische Hochzeiten waren, sind heute Preisverleihungen: Sie schaffen verlässliche Beziehungen. Sind diese so stark belastet wie die zwischen Deutschen und Juden, dann kommt Auszeichnungen eine besondere Bedeutung zu. Denn bei jeder Feierstunde ist die Erinnerung an den Holocaust mit im Raum. So war es auch am Dienstagmorgen im Hotel Adlon, als der Zentralrat der Juden in Deutschland Deutschlands Außenminister Joschka Fischer den Leo-Baeck-Preis überreichte, benannt nach dem 1945 in Theresienstadt befreiten geistigen Oberhaupt der deutschen Juden. Um so erstaunlicher war die Offerte des israelischen Schriftstellers Amos Oz an Fischer: „Falls Sie je hier in Deutschland arbeitslos werden, brauchen Sie nicht mehr Taxi zu fahren. Sie können leicht zum Leiter der israelischen Linken oder der israelischen Friedensbewegung gewählt werden.“ Fischer vernahm es schmunzelnd.
Dem Außenminister wurde im Beisein von viel politischer Prominenz, darunter Altbundespräsident Johannes Rau, mehrfach der Rücken gestärkt. Der wegen Terminschwierigkeiten erst jetzt verliehene Baeck-Preis 2004 gehe zwar vornehmlich an den Bürger, der sich mit „seiner geballten rhetorischen Argumentationskraft gegen die Feinde einer weltoffenen, toleranten Zivilgesellschaft zur Wehr setzt“, sagt Paul Spiegel. Gleichzeitig unterstützt der Zentralrats-Vorsitzende den Minister aber in seiner Entscheidung, ehemalige NSDAP-Mitglieder nicht mehr in der Zeitschrift des Auswärtigen Amtes zu ehren. Die Diplomaten seien an Hitlers „mörderischem Räderwerk“ durch vermeintlich unverdächtige Handlungen beteiligt gewesen. Da war sie, die Vergangenheit. In den Demonstrationen zum 8. Mai sieht Spiegel zwar keinen „Anlass zur Entwarnung“, aber doch „ein wichtiges, hoffnungsvolles Zeichen der Solidarität“.
Nach der eher staatstragenden Rede erklärte Amos Oz Fischer seine Zuneigung . Er habe sich von einem „radikalen Idealisten“ zu einem „Familiendoktor“ gewandelt, vom Pazifisten zum „pragmatischen Visionär“, der wie kaum ein anderer Politiker von Israel und von den Arabern als Vermittler akzeptiert werde. Fischer kritisiere Israels Politik gegenüber den Palästinensern, ohne das Existenzrecht des jüdischen Staates in Frage zu stellen. Und was die Visa-Affäre angehe: Die Anschuldigung, man halte die Tore für Immigranten und Flüchtlinge weit offen, sei viel besser als das Gegenteil. Fischer bekräftigte das besondere Verhältnis der Deutschen zu Israel: „Welcher Normale fragt denn schon, ob er normal sei.“ Im Nahen Osten müssten zwei Staaten entstehen, und Israel werde das Misstrauen gegen die Europäische Union verlieren. „Neues Vertrauen zu schaffen ist das konkrete Ziel“, sagte er. Eine Preisverleihung ist dafür nicht das schlechteste Mittel.
Jörg Plath