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Kultur: Der Regie-Star eröffnet in Wien die neue Ära - mit Calderón/Enzensbergers "Tochter der Luft" und Corinna Harfouch in der Hauptrolle

Frank Castorf packt gern Frauen ein. Er ist der kleine Christo des Theaters.

Frank Castorf packt gern Frauen ein. Er ist der kleine Christo des Theaters. Castorfs Aktionskunst erinnert immer ein bisschen an Kindergeburtstag. Waren früher einmal Pappkartons das bevorzugte Verpackungsmaterial, so greift er diesmal zur Plastikplane. Semiramis, die sagenhafte Herrscherin von Babylon, in Frischhaltefolie - ein toller Partygag! Sie japst, sie schnauft, sie kreischt, sie zappelt, und durch das Burgtheater dröhnt, weil Castorf auch gern alte Platten auspackt, das "Star Spangled Banner" von Jimi Hendrix, die Nationalhymne der USA in der verzerrten Woodstock-Version. Nachher gibt es noch reichlich Ry Cooder, Marvin Gaye, Tangos von Piazolla und die alte Sponti-Nummer "Keine Macht für niemand" zu hören - der Regisseur mochte sich nicht entscheiden, wohin die Reise geht.

Nach Wien also. Frank Castorf hat am Sonntagabend die Ära des neuen Burgtheater-Direktors Klaus Bachler eröffnet mit einem Drama des spanischen Barockdichters Calderón. Freilich nicht im Original: Die Fassung, die Castorf verhackstückt, stammt von Hans Magnus Enzensberger, und der hatte "Die Tochter der Luft" selbst schon aufs Heftigste komprimiert - auf schätzungsweise vier Stunden Spieldauer. Mit dem unangetasteten Text säße man vielleicht zehn Stunden im Theater, Castorf schafft es in zweieinhalb. Nur beim Auspacken, da lässt er sich Zeit. Und "Die Tochter der Luft" läuft schon blau an.

Ein Countdown, ein Krieg um Calderón. Man muss zwischen den Zeilen lesen. Castorfs Dramaturg Wolfgang Wiens druckt Enzensbergers Erklärung, wie der Nachdichter durch Auslassen und Zuspitzen und Hinzufügungen den Spanier für unsere Zeit zu retten gedachte, und unterschlägt ganz einfach Enzensbergers Polemik gegen das Pop-Theater. "Bearbeiter und Regisseure, die beliebig auf irgendwelchen Vorlagen herumtrampeln, strengen sich vergebens an; die Resultate stehen in einem auffallenden Missverhältnis zu ihrer Kraftmeierei. Wie auf dem Kunstmarkt sinkt der ästhetische Grenznutzen des Sakrilegs gegen Null." So stand es noch 1992 in der Buchausgabe des Suhrkamp-Verlags. Im Wiener Programmheft findet man an dieser Stelle drei Pünktchen . . .

Ursprünglich war Andrea Breth als Regisseurin vorgesehen. Sie sagte aus gesundheitlichen Gründen ab und konnte nun doch wenigstens aus der Loge die Premiere miterleben. Die Frage, was Andrea Breth mit der "Tochter der Luft" angestellt hätte, ist so verlockend wie müßig - ob sie zu dem "heidnischen Untergrund der Tragödie" und zu der "bodenlosen sexuellen Problematik" des Schauspiels vorgedrungen wäre, wie Enzensberger es sich erträumte. Semiramis, ein Kind der Götter, männermordendes Monstrum, schreckliche Lichtgestalt, eine Königin, die sich an ihrer kristallklaren Grausamkeit berauscht: mit poetischen Luftblasen kann ein Frank Castorf nichts anfangen. Calderóns zauberisches Welttheater lässt ihn kalt. Da spielt er lieber, weil Babylon, das versunkene, nunmal in jener Gegend liegt, Golfkrieg. Die Feldherren tragen Gasmasken, Giftnebel dampft. Operation Wüstensturm. Die Sieger bringen den Wilden Zigaretten, Seife und Deodorant. Und amerikanische Musik. "Kein Feind mehr da. Es liegt der ganze Osten uns zu Füßen" - ein Schlüsselsatz für Castorfs Anti-Nato-Haltung, aber das sind alles nur maulige Assoziationen, die auch nicht weiterführen.

Enzensberger irrt. Längst ist Castorf über die "Klassikeraktualisierung" mit Pop und politischen Pappkameraden hinaus. Castorf hat sich in seine eigene Welt eingeschlossen, und was Enzensberger als billige Manie attackiert, es ist längst Beiwerk geworden und ironisches Zitat. Hartmut Meyer, Castorfs Bühnenbildner schon zu DDR-Zeiten, schafft seinem Regisseur an der Wiener Burg ein starkes Heimatgefühl. Die Spielfläche ist extrem schräg, mit Rutschbahn und abgerundetem Horizont, es gibt ein hohes Klettergerüst, und wenn nichts mehr geht, dreht sich die Bühne. Weit entfernt von Textzertrümmerung, greifen Castorfs Akteure in komischer Verzweiflung nach jedem Strohhalm, der sich ihnen bietet - sei es ein Akkordeon, ein Klavier, sei es eine Perücke oder ein Stück Brot. Ihren Text (was von Calderón übrigblieb) sprechen sie gerade so, als hörten sie ihn zum ersten Mal, denn sie wissen nicht, wer sie sind. Sie wissen nicht, was das jetzt noch alles bedeuten soll. Krieg, Liebe, Verrat und Tod. "Weshalb? Ja, weshalb?", das sind die letzten Worte der Semiramis.

Eine nahezu klassische Eröffnung an der Burg. So kennt man Castorf. Überraschungen bleiben aus. Eine Berliner Eröffnung auch. Corinna Harfouch ist die Frau unter der Plastikplane. Semiramis aus dem Tiefkühlfach: sie trägt ihr Haar kurz und struppig, und ein Unterrock ist ihre ganze Kostümpracht. Eine räudige Diva, sprunghaft, unberechenbar, den Männern entwindet sie sich wie ein kalter Fisch. Castorf hat Spaß an starken Frauen und zappeligen überforderten Männern. In dieser Beziehungsküche finden sich immer noch letzte Ansätze von Drama. Deutlich zu erkennen: Männer spielen Rollen, Frauen nicht. Männer müssen immerzu etwas vorspielen, und die Frau schaut zu, mit mäßigem Amüsement.

Castorfs Männergestalten ringen um die Fassung, worum die Frau sie bringt. Männer haben es schwer. Gerd Böckmanns König Ninus mimt den zynischen Galan, während sein Feldherr Menon (Johannes Terne) in seiner Verliebtheit zum Clown wird. Michael König, der versklavte König Lidor von Lydien, sucht sein Heil in hohltönendem Ernst, und so hat jeder sein Päckchen zu tragen mit dieser Frau, die man besser nicht ausgewickelt hätte. Der Wächter Branko Samarovski mault und spuckt vor sich hin, der Minister Peter Mati¿c steht bei seinem Kurzauftritt wie ein Fragezeichen in der Landschaft. Nur der Heerführer Phryxus von Wolfgang Michael, hier als Skinhead, kotzt und bellt der Chaosbraut Semiramis seinen Ekel entgegen, was man auch als Kommentar zur Castorfschen Regie verstehen kann; Wolfgang Michael gehört zu den getreuen Schauspielern der Andrea Breth.

Noch bei den Schlussproben warf Castorf zwei Hofdamen aus dem Stück - ein weiteres Indiz dafür, dass es hier unproduktive Spannungen und Schwierigkeiten gab. An der Wiener Atmosphäre kann es nicht gelegen haben. Castorf sagt ja immer, wie wohl er sich dort fühlt, und nach dem Nestroy und den "Dämonen" in der vergangenen Saison ist "Die Tochter der Luft" bereits seine dritte Wiener Arbeit in einem Jahr. Doch wirkt diese Inszenierung müde und abgebremst. Und sie widerlegt Claus Peymann, der sich kürzlich in einer österreichischen Zeitschrift den Scherz erlaubte, Frank Castorf sei ein begabter junger Mann. Womöglich quält Castorf sich (und uns) durch jene Krise in der Mitte des Lebens, die Peymann (wenn wir in Berlin Glück haben) bereits hinter sich hat. Castorf und Peymann sind sich näher, als ihnen lieb sein kann. Dem Gast von der Berliner Volksbühne gelang es jedenfalls nicht, das Wiener Publikum zu provozieren. Wenige Buh-Rufe gingen unter im kräftigen Applaus, Corinna Harfouch hat die Burg erobert, und Klaus Bachler war zufrieden. Nicht einmal der Auftritt der "Volksmassen" gegen Ende der Aufführung brachte Unruhe: Castorff schickt einen Trupp schwarzer Schauspieler und Musiker auf die Bühne, als exotische Staffage. Ein Regie-Einfall am Rande des Rassismus: Der Sohn der Semiramis und des Ninus ist ein Rasta-Mann, der "Sexual Healing" auf der Gitarre spielt. Damit hat sich Frank Castorf locker um den dramatischen Kern des alten Schauspiels herumgedrückt.

In einer Doppelrolle liegt das ursprüngliche Geheimnis. Semiramis gleicht ihrem Sohn so sehr, dass es im Original zu einer Verwechslungstragödie kommt. Geschlecht und Macht, vollkommen austauschbar. Die Krone der Schöpfung, der Mensch, ein erotisches Vexierbild, die weltliche Macht ein Trugbild und Kostümfest. Für einen katholischen Dichter des Barock in Spanien war dies eine tollkühne, erschütternde Konstruktion. Für Frank Castorf nicht der Rede wert. Corinna Harfouch, die an der Volksbühne "Des Teufels General" gestemmt hat und an der Burg gelegentlich in schnarrenden Hitler-Ton verfällt, ist wohl schon androgyn genug. Das Plastik-Planen-Soll ist erfüllt, für diesmal. "Die Tochter der Luft", in Folie gewickelt: es droht der Erstickungstod.

Rüdiger Schaper

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