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Kultur: Der Schimmer vom Glück

Kaum zu glauben, was in einer Stadt wie Berlin so alles geputzt werden muss. Marx und Engels auf ihrem Platz.

Kaum zu glauben, was in einer Stadt wie Berlin so alles geputzt werden muss. Marx und Engels auf ihrem Platz. Telefonzellen. Die Scheiben der Bassins im Aquarium. Die Kanzlergemälde im Reichstag, die Volksbühnen-Bühne und die Vitrinen in den Edelboutiquen der Friedrichstraße.

Dass sie nur die Oberflächen und nicht die Innenseiten der Glasvitrinen blankwienern darf, ärgert Gisela Weiss. Sie macht ihre Arbeit gern gründlich. Um drei Uhr morgens fängt sie an in der Kolonne, und ihr Mann Günther widmet sich zu Hause der Schrankwand. Mit einem feinen Pinsel entfernt er den Staub in den Schmuckleisten. Als er, der "King of Gebäudereinigung", nach 27 Jahren in den Ruhestand ging, überreichten ihm seine Kollegen einen goldenen Besen.

"Der Glanz von Berlin" könnte ein skuriller Film über putzwütige Menschen sein. Oder ein voyeuristischer, mit tiefen Einblicken in die Schmutzecken der Hauptstadt: Bereits der gute, alte Kracauer ließ sich in seiner "Theorie des Films" ausührlich über unsere (Nicht-)Wahrnehmung des Abfalls aus. Oder ein sozialkritischer Film über das Arbeitsethos und die schlechte Bezahlung eines verkannten Berufsstands. Aber die jungen Dokumentaristinnen Judith Keil und Antje Kruska (beide Jahrgang 1973) haben bei ihren mühsamen Recherchen - Putzfrauen reden nicht gerne über sich - etwas anderes entdeckt. Man könnte es die Würde des Menschen nennen, und das wäre kaum übertrieben.

Denn die Protagonistinnen Gisela, Delia und Ingeborg gestatten dem Filmteam die Annäherung an weit mehr als ihr Arbeitsleben. Und die Regisseurinnen sind bei aller Neugier behutsam und geduldig genug, ihre Heldinnen dabei niemals vorzuführen. Der Kamerablick bleibt vorsichtig, ein wenig verlegen: Die schlichten, unspektakulären Bilder sprechen die Sprache der Zärtlichkeit. Und so lernt die Zuschauerin nach und nach drei Frauen kennen, die so gar nichts Besonderes sind - und doch einmalig.

Gisela und Günther: ein Ehepaar auf einer zerschlissenen Couchgarnitur, das beim Abendessen über die richtige Temperatur der Bratwürste diskutiert. Das sich üerhaupt ständig kabbelt, aber nach 35 Ehejahren noch immer Momente der Verliebtheit kennt. Wenn sie Geburtstag hat, kredenzt er ihr Zigaretten und Aschenbecher und tanzt im Wohnzimmer einen Foxtrott mit ihr, als sei sie das Mädchen mit Petticoat und Pfennigabsätzen von einst.

Oder die 58-jährige Ingeborg, die nach drei Ehen mit den falschen Männern die Suche nach der Liebe nicht aufgibt. Sie liest "Sorge dich nicht, lebe", studiert Zeitungsannoncen und nimmt Gesangsunterricht. Nein, sie hat keine traumhafte Stimme, ihr Jargon der Eigentlichkeit ist schwer zu ertragen, und beim Rendezvous in der Kneipe fallen peinlich-banale Sätze. Aber die Kamera belustigt sich nicht, sie bleibt nüchtern, auf Distanz. "Das Glück kommt immer von hinten", sagt Ingeborgs Freundin. Und Ingeborg gesteht ihrem neuen Verehrer, dass es besser wäre, doch nur gute Freunde zu bleiben.

Der Glanz von Berlin, dieser Schimmer vom Glück, setzt einen Kraftakt voraus. Man muss schon kräftig polieren, damit das Gewöhnliche in ungewöhnlichem Licht erscheint, jeden Tag neu. Manchmal will das Glück trotzdem nicht kommen. Deshalb versucht Ingeborg, sich selbst ihre beste Freundin zu sein. Und sei es, indem sie sich ihre Einsamkeit schönredet.

Der Film selbst beschönigt das Putzen nicht. Erst am Ende ist die Kamera dabei, wenn Ingeborg bei einer alten Dame saubermacht, immer beobachtet von den strengen Hausfrauen-Augen der ebenfalls allein lebenden Greisin. Und man ahnt die Anstrengung, die es Ingeborg kostet, diese Erniedrigung auszuhalten.

Delia aus Argentinien hat damit keine Probleme. Sie sagt zu ihrem Arbeitgeber: Du brauchst meine Hilfe, ich brauche das Geld, das ist eine klare Sache. Delia ist die Bodenständigste: die Beine fest auf der Erde, aber mit dem Kopf in den Sternen. Ihre Unabhängigkeit - bloß kein Job, für den man sich fein anziehen muss - ist ihr heilig. Sie hat getan, was sie wollte, allen elterlichen Ratschlägen zum Trotz. Aber dann erzählt sie vom frühen Tod ihrer Mutter und davon, dass sie sich schuldig fühlt. In ihrer Freizeit malt Delia großformatige, wilde, lebenswütige Bilder. Als die Malerin, bei der sie saubermacht, sie um einen fachfraulichen Rat bittet, bemerkt Delia stolz, dass auch das frisch geputzte Fenster ein Kunstwerk ist.

Der Preis der Freiheit ist hoch. Delia hat einst geliebt und ihre Liebe verloren. Auch von diesem Leid handeln ihre Gemälde - wie die Filmbilder von Kruska und Keil. Wenn Delia beim Abwasch mit ihrer wunderbaren Stimme am Ende argentinische Lieder trällert, könnte man sie dennoch als glücklichen Menschen bezeichnen. Man muss nur genau genug hinsehen.

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