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Kultur: Der Tod kommt als Mechaniker

Grüne Urschrift: Friedrich Georg Jüngers Essay über „Die Perfektion der Technik“

Auch Friedrich Georg Jünger darf man getrost als Jahrhundertfigur bezeichnen – nur auf andere Weise als seinen berühmteren Bruder Ernst. Die beiden teilten einen geistigen Horizont wie kein anderes Geschwisterpaar der deutschen Literatur seit den Gebrüdern Grimm. Er zeigte sich in einer seltenen Mischung aus konservativer Grundhaltung und literarischem Anspruch sowie in einer Ideologieferne, mit der sie sich, wenn auch nicht völlig versuchungsresistent, gegen Vereinnahmungen von rechter wie linker Seite sperrten.

Friedrich Georgs Technikverständnis, mit dem er sich von Ernsts „totaler Mobilmachung“ und dem „Arbeiter“ abgrenzte, setzte allerdings eigene Akzente. 1939, im Jahr des Kriegsausbruchs, schrieb er einen grünen Klassiker avant la lettre: „Die Perfektion der Technik“. 1946 zum ersten Mal erschienen, liegt er bei Klostermann jetzt in einer aktualisierten Neuauflage vor.

Im Nachwort weist Friedrich Georg Jüngers Biograf Andreas Geyer der „Perfektion der Technik“ und dem ebenfalls enthaltenen Folgeessay „Maschine und Eigentum“einen Platz neben zeitlich parallelen Entwürfen wie Adornos/Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ oder Günther Anders’ „Der antiquierte Mensch“ zu und hebt die Affinität zur begriffsschärferen Systemtheorie hervor. Ebenso wird plausibel, wie das Buch zu einer im Verborgenen fortwirkenden Bibel des ökologischen Protests werden konnte und noch heute Globalisierungskritikern wie Nachhaltigkeitsbefürwortern die Argumente zu liefern vermag.

Für Friedrich Georg Jünger bedeutete Technik als Signum der Moderne einen Zuwachs an Standardisierung, Konformität, Verdinglichung und Fragmentarisierung – Entfremdung vom „Humus“, der Verwurzelung in lebendigen, aus der Vergangenheit schöpfenden Zusammenhängen.

Insofern liegt „Die Perfektion der Technik“ auf der Linie eines phänomenologischen Humanismus, der Goethes Diktum „Mikroskope und Fernrohre verwirren den reinen Menschensinn“ radikalisiert: „Die Maschine ist etwas, das in striktem Gegensatz zu allem Humus steht.“ Darauf kann, wer immer nach dem Schwinden der großen Theorien ein Unbehagen an der technischen Abhängigkeit unserer Zivilisation verspürt, heute noch zurückgreifen.

Aber das ist nur die eine Seite von Jüngers stilistisch geschliffenem, hoch verdichtetem Essay, und es fragt sich, ob man ihm damit gerecht wird. Es wäre falsch, den zeitlichen Hintergrund zu vernachlässigen, vor dem „Die Perfektion der Technik“ ihr apokalyptisches Panorama einer auf Gleichschaltung, Vermassung und Kollektivierung basierenden Maschinokratie entfaltet: die Erfahrung der die Technik gleichermaßen in ihre Ideologie einspannenden nationalsozialistischen und stalinistischen Zwangsherrschaften. So gesehen ist das Buch auch eine als Kulturkritik getarnte Analyse der technologischen Grundlagen der NS-Diktatur, vor deren Zugriffen Jünger selbst nicht verwahrt blieb. Er wurde von der Gestapo observiert, stand zeitweilig unter Publikationsverbot.

Der Totalitarismus, in dessen Angesicht er schrieb, findet sein Korrelat im von der entgrenzten Technik heraufbeschworenen Krieg; Technik wäre nichts anderes als Krieg im Latenzzustand: „Der Tod kommt als Mechaniker, der die Massengräber füllt ... Dieser Krieg ist immer Alltag, an den Enden des Sieges wie der Niederlage.“ In der permanenten Zerstörung allen kultivierten „Eigentums“ läge der wahre Triumph der Technik.

Jünger schrieb aus der Erfahrung desjenigen, der noch „nicht im technischen Kollektiv aufgewachsen“ war, „sondern auf dem Lande“. Prägend sein Erlebnis der landschaftlichen Verwüstung, die von den Materialschlachten ausging: „Ich gestehe, dass es in der ersten Flandernschlacht (Juli 1917) nicht so sehr der Anblick von Tod und Verderben war, der mich bewegte, als die durch mechanische Mittel bewirkte Verwandlung der ganzen Landschaft ... Man hätte Mühe gehabt, einen Gegenstand aufzutreiben, der nicht auf die gewaltsamste Weise deformiert war. Fantastisch zerknäult oder aufgerissen lag die in Fetzen geschlagene Maschinerie umher, Flugzeuge, Automobile, Wagen, Küchen, deren Gestänge und Blech sich wild auftürmten. Diese Deformation der technischen Apparatur – und des menschlichen Körpers, der mit ihr verbunden war – entsprach einem Zustande der technischen Organisation, in dem ein bedeutendes Maß elementarer Kräfte apparatmäßig unterjocht war.“

Darüber nachzudenken, inwieweit diese Erfahrung noch unsere heutige nanoelektronische Technisierung widerspiegelt, ist immer anregend, selbst im Widerspruch gegen seine Apodiktik („jeder Film wird mit der Zeit komisch“). Bezeichnend jedoch ist, dass der 1977 Verstorbene, statt unmittelbar politisch einwirken zu wollen, es vorzog, der Dürftigkeit der Welt mit poetischen Gegenentwürfen zu antworten – neben seinen noch wiederzuentdeckenden Gedichten etwa den „Griechischen Mythen“ (1947). Liest man diese als Kontrast zur „Perfektion der Technik“, wird klar, in welchen Dimensionen Jünger dachte: Er sah im 20. Jahrhundert das Kraftfeld zwischen der Ökumene einer Götterwelt nach Menschenmaß und elementarem, namen- wie gestaltlosen Titanismus: eine Sichtweise, die er sowohl mit Bruder Ernst als auch mit Martin Heidegger teilte.

Friedrich Georg

Jünger:
Die Perfektion der Technik. Mit einem Nachwort von

Andreas Geyer. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M. 2010. 388 Seiten, 21,90 €.

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