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Kultur: Der Umstrittene

Nach dem Historikerstreit: Ernst Nolte wird achtzig

In der Geschichte der Bundesrepublik gibt es wenige Namen, die einen solchen Signalwert haben wie der des Ernst Nolte; auf einer Skala für diskursives Provokationspotential dürfte er mit Leni Riefenstahl gleichauf sein. Untrennbar verbunden ist seine Biografie mit dem „Historikerstreit“, der sich 1986 an seinem Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ entzündet hatte. Darin hatte er gefragt, ob der „,Klassenmord’ der Bolschewiki“ nicht logische und faktische Voraussetzung „des ‚Rassenmords’ der Nationalsozialisten“, ob der „Archipel GULag“ also nicht „ursprünglicher als Auschwitz“ gewesen sei. Noltes Versuch, Hitlers Gräueltaten als Reaktion zu erklären, um einen „kausalen Nexus“ für den Holocaust zu etablieren und sie ferner in Beziehung zu setzen mit den Massenmorden anderer Diktatoren, brachte ihm den Ruf eines Revisionisten ein. Vor allem die scharfe Entgegnung von Jürgen Habermas bestimmte fortan Noltes negative Rezeption. Angesichts der ausgelösten publizistischen Lawine darf Nolte gleichwohl das Verdienst zugestanden werden, mit seinen waghalsigen Thesen dazu beigetragen zu haben, dass sich die politische Erinnerungs- und Aufarbeitungskultur der Bundesrepublik einer weit ausstrahlenden Selbstvergewisserung unterzog.

Noltes Denken, seine „These von der Verstehbarkeit und – bösen – Rationalität des Holocaust“, seine Maxime des rationalen „Verstehenwollens“ eines mythisierungsgefährdeten „Unverstehbaren“, ist ein methodischer Balanceakt und kippt in seinen Formulierungen nicht selten in die Sphäre des Unerträglichen. Problematisch erscheint weniger der Ansatz, die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts miteinander vergleichen und historisieren zu wollen. Schwer nachvollziehbar wird es vielmehr dort, wo der Sprachgebrauch der Faschisten zur Terminologie des Historikers wird, wie beispielsweise im Falle des „jüdischen Bolschewismus“, oder dort, wo das Verstehenwollen des Vernichtungswahns einer Entschuldigung nahe zu kommen scheint.

Seine 1991 erschienenen „Beiträge zur Interpretation der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ tragen den Titel „Lehrstück oder Tragödie?“, und man ist versucht, diese Frage auch an die Vita ihres Autors zu stellen. Denn im Zuge des Historikerstreits verlor Nolte in der öffentlichen Wahrnehmung ein hohes wissenschaftliches Renommee, das er sich vor allem auch bei Linksintellektuellen mit seinen Monographien von „Der Faschismus in seiner Epoche“ (1963) bis „Marxismus und Industrielle Revolution“ (1983) erworben hatte. 1923 in Witten geboren, war er 1952 in Freiburg promoviert worden; die Universität Köln habilitierte ihn 1964 aufgrund seines Faschismus-Buches, so dass er schon 1965 einen Ruf an die Universität Marburg annehmen und 1973 als Ordinarius an die Freie Universität Berlin wechseln konnte. Vermutlich gebe es „nur wenige so aufschlussreiche Beispiele“ wie ihn, sinniert der seit 1991 Emeritierte auf der eigenen Homepage über seine heutige Rolle als „umstrittener Autor“, um sich dann unter frühere Historiker einzureihen, die aufgrund ihrer Unangepasstheit im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Nachteile in ihrer Laufbahn erleiden mussten, bevor sie von den Nazis ganz zum Schweigen gebracht worden seien.

Roman Luckscheiter

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