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Colani

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Design: Die Nachbesserung der Wirklichkeit

Raumkapseln in der Küche: Luigi Colani, Deutschlands wildester Designer, wird 80 - und hat Ideen für 500 Jahre.

Wer wissen will, wie die Zukunft aussehen wird, muss erst einmal zurück in die Vergangenheit. Künftige Generationen, so die Vision aus der Flower-Power-Ära, würden nicht mehr in festen Häusern, sondern in pilzförmig wuchernden Wohntürmen leben. In diesen „Urzellen“ gibt es keine Wände, alles Trennende ist aufgehoben. „Der weiche, kantenlose Raum strahlt in seiner horizontlosen Harmonie eine Nestwärme aus, die das Wohnen in eckigen früheren Räumen als unzumutbare Quälerei erscheinen lassen wird.“

Um einen großen elliptischen Hauptraum legen sich kleine Nebenräume, „kugelige Funktionszellen“, die als Küche, Esseinheit, Bad oder Schlafhöhle dienen. Möbel werden durch eine aufblasbare Wohnlandschaft ersetzt. Das Leben mit seinen Aktivitäten – Essen, Baden, Arbeiten und Schlafen – findet stets gemeinsam statt. Bisherige Bauten waren bloß „abriegelbare Gefängniszellen“, das schwebende Leben in den organisch erweiterbaren Wohntürmen würde zu einer Befreiung führen und einen „neuen Menschentyp“ erschaffen.

So wie Luigi Colani 1971 in seinem programmatischen Traktat „Ylem“ die Zukunft ausmalte, sieht die Gegenwart des Jahres 2008 noch immer nicht aus. Man muss wohl sagen: zum Glück. Colanis Vision kündet vom Optimismus einer Zeit, in der ein Astronaut erstmals den Mond betrat, und träumt den Traum von der Erschaffung eines neuen, quasi technisch verbesserten Menschen weiter. Die Grenze zwischen Beglückungsversprechen und Totalitarismus ist fließend.

Colani wollte – etwa zeitgleich mit der Fernsehserie „Raumpatrouille Orion“ – auch das Meer zum Wohnraum machen. „Subaquatische Siedlungen werden in den kommenden Jahrzehnten realisiert, mit einer Landwirtschaft, die von den ungeheuren Mineralreserven des Meeresbodens profitiert“, verkündete er. Verwirklicht wurde von den ehrgeizigen urbanistischen und lebensreformatorischen Plänen nur ein Ideensplitter: die „Kugelküche“. Der Prototyp, den Colani für die Firma Poggenpohl entwarf, wirkte wie eine gerade gelandete Raumkapsel. Künftige Nutzer würden die Küchenzelle mit einem Durchmesser von 2,40 Metern durch eine Luke mit einem schmalen Laufsteg betreten und auf einem Drehstuhl Platz nehmen, von dem aus die in einer orangefarbenen Plastikverkleidung eingelassenen Hightech-Geräte spielend zu bedienen wären. In Serie ging die Küche mit dem Titel „Experiment 70“ allerdings nie.

Luigi Colani, der heute 80 Jahre alt wird, ist vielleicht Deutschlands bekanntester, sicher aber lautester Designer. Seine Kollegen beschimpft er gerne als „Designbeamte“. Mit imposantem Seehundbart und stets in weißer, selbstentworfener Kleidung auftretend, hat er sich zum eigenen Markenzeichen gemacht. Das Bauhaus hasst er, die Form muss bei ihm nicht der Funktion, sondern der Emotion folgen. Geboren wurde er 1928 in Berlin. Sein Vater war ein Schweizer Filmarchitekt, seine aus Polen stammende Mutter arbeitete als Souffleuse bei Max Reinhardt. Er legt Wert darauf, in Johannisthal, direkt neben einem Flughafen aufgewachsen zu sein. Sein Kunststudium an der Berliner Kunsthochschule brach er ab, um in Paris Vorlesungen über Aerodynamik zu hören. 1953 ging er als Leiter der Materialforschung zum kalifornischen Flugzeughersteller McDonell- Douglas, ein Jahr später kehrte er nach Europa zurück und entwickelt Karosserien für VW, Alfa-Romeo und Fiat.

Mit den Großvisionen ist Colani gescheitert, im Kleinen hat er immer wieder unsere Wirklichkeit verbessert. Sein 1968 für Cor entworfener „Schlaufenstuhl“, der aus einem einzigen, kunstvoll ineinander geschlungenen Plastikstreifen besteht, ist längst ein Klassiker. Und in seiner eisbobartigen Babywanne aus dem Jahr 1971 wurden bereits mehrere Generationen Neugeborener gebadet. Vor Überraschungen ist man bei Colani nie gefeit. Inzwischen plädiert der einstige Plastik-Avantgardist für mehr Nachhaltigkeit: „Holz ist das Material für das dritte Jahrtausend.“ Seinen Geburtstag will er mit einer Zigarre und einem Orangensaft im Flugzeug feiern, unterwegs zu neuen Projekten in China. „Ich habe noch Ideen für mindestens 500 Jahre“, sagt er.

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