zum Hauptinhalt
Metzmacher

© DSO

Deutsches Symphonie-Orchester.: Silberseelenwanderung

Der Dirigent Ingo Metzmacher ist weiter auf der Suche nach dem Deutschen in der Musik. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht er über seine erste Saison am Deutschen Symphonie-Orchester.

Seit September ist Ingo Metzmacher Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters. Für seine erste Saison hat er sich vorgenommen, dem Deutschen in der Musik nachzuspüren. Nach dem Start mit Hans Pfitzners Kantate „Von Deutscher Seele“ dirigiert er am 15. und 16. Dezember in der Philharmonie nun Kurt Weills 1933 uraufgeführte Schauspielmusik „Der Silbersee“.

Herr Metzmacher, das Konzert mit Pfitzners „Von Deutscher Seele“ am dritten Oktober hat einige Aufregung verursacht, weil der Komponist später gemeinsame Sache mit den Nazis machte. Hat Sie das heftige Echo auf die Aufführung eigentlich überrascht?

Überrascht hat mich die teilweise heftige Wortwahl des Protests. Aber davon abgesehen war es ja mein Ziel, eine Diskussion anzuregen und am deutschen Nationalfeiertag Musik zu spielen, die etwas mit diesem Tag zu tun hat. Das sollte auch ein Zeichen sein, dass es nicht nur im Theater, sondern auch im Konzertsaal möglich ist, programmatisch zu arbeiten. Für mich ist klassische Musik nicht nur zum Wohlfühlen da.

Im Vorab hatten Sie immer wieder betont, dass Sie selbst neugierig auf dieses Stück von Pfitzner wären. Und nun? Würden Sie es noch mal dirigieren wollen?

Na klar. Mich fasziniert die außergewöhnliche Form des Werks nach wie vor: Diese Liederszenen, die wie isolierte Inseln in einen großen Strom eingebettet sind – das ist für mich etwas ganz Besonderes. Und als Dirigent eine Herausforderung.

Und nun liefern Sie mit Kurt Weills „Der Silbersee“ die ästhetische und politische Gegenposition nach: Das Werke eines jüdischen Komponisten, der vor den Nazis emigrieren musste.

Für mich waren die beiden Stücke von Pfitzner und Weill von Anfang an als programmatische Einheit gedacht. Zwischen Ihnen liegen ja gerade mal zehn Jahre, und dennoch sind sie total verschieden. Sozusagen zwei Seiten einer Medaille. Und für mich sind es gerade diese völlig unterschiedlichen Facetten, die in ihrer Gesamtheit das Bild des Deutschen ausmachen.

Wobei die meisten Menschen, die Weills Musik nicht kennen, bei den Songs aus der „Dreigroschenoper“ oder „Mahagonny“ vermutlich eher auf einen amerikanischen Komponisten tippen würden.

Es ist aber deutsche Musik! Sie wirkt auf uns nur nicht so, da Weill nach seiner Emigration in die USA großen Einfluss auf die Entwicklung der amerikanischen leichteren Musik gehabt hat. Ich höre bei Kurt Weill aber einen ganz besonderen Ton, der vor allem mit seinem Umgang mit den Tonarten zu tun hat. In den sentimentalen Momenten klingt er fast wie Franz Schubert und die bewussten Verfremdungen finden bei ihm immer auf der Basis seiner Kenntnis der vertrauten spätromantischen Orchestersprache statt. Wenn er einen Akkord verbiegt, dann setzt dies das Wissen darum voraus, wie dieser Akkord eigentlich klingen müsste.

Der Komponist von „Mackie Messer“ und „Surabaja Johnny“ ist also ein verkappter Romantiker?

Zumindest finden Sie in seinem „Silbersee“ eine unglaubliche Poesie, die mich persönlich immer wieder zutiefst berührt. Ich finde auch, dass die Schlussszene, in der die beiden Hauptdarsteller über den zugefrorenen See in eine ungewisse Zukunft gehen, zum Schönsten gehört, was je komponiert wurde.

Ausgesucht haben Sie dieses relativ unbekannte Stück aber sicher auch, weil es das letzte war, was Weill vor der Emigration noch komponieren konnte?

Dass die Wahl auf den „Silbersee“ gefallen ist, hat mehrere Gründe. Erstens ist es ein Wintermärchen und wir haben uns vorgenommen, jedes Jahr vor Weihnachten eine Art Weihnachtsstück zu spielen. Zweitens habe ich eine ganz persönliche Beziehung zu diesem Stück, weil es vor 20 Jahren in Gelsenkirchen die zweite eigenverantwortliche Premiere war, die ich überhaupt dirigieren durfte. Der Schauspieler Thomas Thieme, mit dem zusammen wir für die Philharmonie eine Aufführungsfassung erarbeiten werden, war übrigens schon dort mit von der Partie. Und drittens markiert die Uraufführung im Februar 1933 in Leipzig tatsächlich einen Brennpunkt der deutschen Musikgeschichte: In Berlin wagte damals schon keiner mehr, Weill aufzuführen. In Leipzig dagegen riskierten die mutigen Beteiligten dieser Aufführung Leib und Leben, um das Stück herauszubringen. Der Dirigent Gustav Brecher hat ja später auch auf der Flucht vor den Nazis Selbstmord begangen.

Finden sich im Stück selbst Anspielungen auf diesen historischen Kontext?

Das expressionistische Drama von Georg Kaiser, zu dem Weill die Musik schrieb, gibt sich zwar als Märchen, hat aber ganz enge Realitätsbezüge – etwa wenn die Arbeitslosen um die Hauptfigur Severin einen Lebensmittelladen plündern. Stein des Anstoßes dürfte damals aber vor allem die Ballade von Caesars Tod gewesen sein, die als direkte Satire auf Hitler verstanden wurde.

Für heutige Ohren klingt Weills schmissige Musik manchmal eher nostalgisch als provokativ. Wie kann man das Bewusstsein dafür schärfen, wie radikal sie für das Publikum damals geklungen haben muss?

Ich werde versuchen, den trockenen Witz dieser Musik noch schärfer herauszuarbeiten.

Das Gespräch führte Jörg Königsdorf.

Ingo Metzmacher wurde 1957 in Hannover geboren. Er war 1997 bis 2005 Generalmusikdirektor in Hamburg. Derzeit leitet er neben dem DSO auch noch die Oper in Amsterdam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false