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Vom Konkurs bedroht. Die Musikerinnen und Musiker des Deutschen Kammerorchesters Berlin.

© Stephan Cleef

Wie gerecht ist der Orchesterbetrieb?: Die Corona-Krise macht ein Zwei-Klassen-System sichtbar

Wer in staatlichen Institutionen festangestellt ist, genießt finanzielle Absicherung – freiberufliche Musikerinnen und Musikern dagegen haben es schwer.

Lobbyismus – das klingt unsympathisch. Nach Kungelei und Hinterzimmer. Und doch haben viele Akteure in der Kulturszene in der Krise gemerkt, wie wichtig es ist, über eine starke Interessenvertretung zu verfügen.

Die fest angestellten Klassik-Musikerinnen und -Musiker beispielsweise sind fast vollständig in der Deutschen Orchestervereinigung organisiert. Weil die Gewerkschaft auch schon vor Corona für ihre Mitglieder hart gekämpft hat, verdienen die Orchestermitglieder an den kleinen Stadttheatern oft mehr als die Gesangssolisten.

Oder anders gesagt: Die Instrumentalisten sind die einzige Berufsgruppe, die hier angemessen bezahlt wird, während junge Sängerinnen und Sänger für einen Hungerlohn auftreten.

Die Rechte jener, die in staatlich subventionierten Institutionen sowieso einen sicheren Job haben, werden auch in der Pandemie durch die Orchestervereinigung verteidigt.

Freiberufliche Musikerinnen und Musiker dagegen stehen völlig schutzlos da, ohne offizielles Sprachrohr und ohne gewiefte Verhandler, die bei der Politik auf der Matte stehen. Immerhin gibt es seit zwei Jahren „Freo“, die Vereinigung der Freien Ensembles und Orchester in Deutschland.

Eine Erfolgsgeschichte

Lange hatten sich das Freiburger Barockorchester, die Akademie für Alte Musik Berlin, das Mahler Chamber Orchestra oder auch das Ensemble Modern als stolze Einzelkämpfer mit Alleinstellungsmerkmal verstanden, „Freo“ war darum zunächst als Plattform des Erfahrungsaustausches gedacht.

In der Corona-Krise aber wächst ihr nun die Aufgabe eines Lobbyisten zu. Der dafür sorgen muss, dass Ensembles wie das Deutsche Kammerorchester (DKO) nicht kaputt gehen.

Gleich nach der Wende wurde das DKO gegründet, von Profis aus West und Ost, mit dem Ziel, den Prozess der Wiedervereinigung auf musikalischem Gebiet vorzuleben.

Das spontane Projekt entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte, das DKO veranstaltet seit vielen Jahren seine eigene Konzertreihe im Kammermusiksaal der Philharmonie – und kann auf seine treuen Abonnenten zählen.

„Fast keiner hat seine Tickets gegen Bargeld zurückgetauscht, als der Lockdown kam“, erzählt Geschäftsführerin Julia Böhmer. „Und die allermeisten haben ihr Abo auch für diese Saison verlängert.“

Einige sind bedroht vom Konkurs

Das brachte erst einmal Geld in die Kasse. Das aber nur vorgestreckt ist und möglichst bald gegen tolle Konzerterlebnisse eingetauscht werden soll. Doch gerade einmal drei Auftritte konnte das DKO im Herbst absolvieren, bevor sich die Saaltüren wieder schlossen. „Außerdem wurden uns mehrere Gastspiele abgesagt“, berichtet Böhmer. „Wir konnten nicht wie geplant nach Russland fahren, für den Januar ist eine Südtirol-Tournee geplatzt.“

Wenn längerfristig keine Auftritte in Berlin möglich sind oder nur mit sehr eingeschränkten Zuhörerzahlen, müssen die treuen Stammkunden irgendwann doch ausgezahlt werden – und die Geschichte des Deutschen Kammerorchesters endet im Konkurs.

Das DKO hat einen festen Stamm von 20 freiberuflichen Spielerinnen und Spielern, die aber jeweils nur projektweise engagiert werden. Darum konnte das Ensemble nicht vom Sonderfonds der Kulturstaatsministerin für Freie Orchester profitieren. Dort wurden nur solche Formationen berücksichtigt, die ganzjährig durchspielen.

So wie die Kammerakademie Potsdam, die außerdem über ein Programm des Landes Brandenburg gerade weitere 250 000 Euro bekommen hat. Die Honorarzahlungen an die Mitglieder sind damit bis zum Jahresende gesichert.

Julia Böhmer dagegen wartet immer noch auf einen Bescheid aus der Berliner Kulturverwaltung, ob das DKO Geld aus der so genannten „Soforthilfe IV“ für kleine Unternehmen erhalten wird.

Mit Fördergeld ließe sich viel bewegen

Hier die hundertprozentig abgesicherten staatlichen Orchester, dort die vogelfreien Ensembles – diese soziale Ungleichheit will „Freo“ dadurch lindern, dass die Vereinigung für ihre Mitglieder eine finanzielle Grundsicherung durch die öffentliche Hand fordert.

Wenn jeweils die Fixkosten der schlanken Management-Teams vom Staat übernommen würden, wäre schon viel gewonnen in Sachen Krisenfestigkeit. Beim Deutschen Kammerorchester arbeiten neben Julia Böhmer noch zwei weitere Leute im Büro; keiner hat eine Vollzeitstelle. Hinzu kommt der künstlerische Leiter Gabriel Adorjan, der aber hauptberuflich als Konzertmeister bei der Komischen Oper engagiert ist.

Mit wenig Fördergeld ließe sich im Bereich der Freien viel bewegen – doch die Sache hat einen Haken: Damit würde offiziell anerkannt, dass es ein Zwei-Klassen-System in der Klassik gibt. Auf der einen Seite die durchsubventionierten Staatsbetriebe, auf der anderen die auf eigenes Risiko wirtschaftenden Orchester.

Erstere kosten viel Geld, weil die Mitglieder ordentlich nach Tarifvertrag bezahlt werden. Letztere sind für einen Bruchteil der Kosten zu haben, basieren aber auf dem Prinzip der Selbstausbeutung.

Es geht auch anders

Die Politik muss sich mit der Frage beschäftigen, ob die wünschenswerte, verbesserte Absicherung der freiberuflichen Klassik-Profis durch Kürzungen bei den festangestellten Musikerinnen und Musiker querfinanziert werden soll. Denn mehr Geld in den Kulturetats des Bundes, der Städte und Gemeinden wird es in den kommenden Jahren kaum geben.

Eine Alternative zum harten haushaltspolitischen Schnitt, bei dem den Reichen genommen wird, um den Ärmsten zu helfen, zeigt das Konzerthaus am Gendarmenmarkt auf: Im Februar und März 2021 sollen Ensembles der Freien Szene an 12 Abenden mietfrei in den Sälen des Hauses auftreten dürfen.

Nicht nur die Räume will das Konzerthaus bereitstellen, sondern die Gäste auch mit Veranstaltungstechnik sowie beim Kartenvorverkauf unterstützen. Bewerben können sich Klassik-, aber auch Jazz- oder Weltmusik-Formationen.

Wer den Zuschlag erhält, entscheidet eine Jury. Die eigene Infrastruktur mit den Selbständigen zu teilen, das ist seitens der Institution aktuell eine schöne Geste der Solidarität – die sich aber langfristig verstetigen müsste.

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