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Szene aus "Clivia"

© davids

"Clivia" von den Geschwistern Pfister an Komischer Oper: Die Diva und der Revoluzzer

Kolossaler Kitsch: Die Geschwister Pfister bringen Nico Dostals Revueoperette „Clivia“ an die Komische Oper Berlin

Anfang der fünfziger Jahre hat er mal versucht, an der Komischen Oper zu landen. Mit „Ein Fremder in Venedig“, seinem einzigen ernsten Werk. „Das Buch und Ihre Musik gefallen mir sehr gut“, soll Intendant Walter Felsenstein damals gesagt haben. „Aber ich werde diese Oper nie aufführen, weil Nico Dostal als Operettenkomponist erfolgreich abgestempelt ist, für alle Zeiten.“ Enttäuscht packte Dostal den „Fremden“ wieder ein und verstaute ihn im heimischen Schreibtisch – wo er bis zum Tod des Komponisten 1981 liegen blieb.

Mit sechs Jahrzehnten Verspätung ist der Österreicher nun aber doch noch triumphal in der Komischen Oper eingezogen: Jubel, Trubel, Heiterkeit herrschen am Samstag bei der „Clivia“-Premiere, Solisten, Dirigent, Orchester, Regie, alle werden gefeiert, der Saal kocht. Berlin hat einen neuen Operettenhit. Und der geht so: Nach einem Putsch in der Bananenrepublik Boliguay fürchtet Investor E. W. Potterton um seine dortigen Investitionen. Er will die US-hörige Vorgängerregierung wieder einsetzen. Zur Verschleierung seiner Absichten gibt er vor, in dem südamerikanischen Land einen Film zu drehen. Doch eine Drehgenehmigung erhalten nur Einheimische. Flugs verheiratet Potterton seine Hauptdarstellerin Clivia mit einem Boliguayer. Dieser Juan Damigo ist in Wahrheit aber gar kein Gaucho, sondern der Anführer der Putschisten.

Als Nico Dostal 1931 mit dem Schlagertexter Charles Amberg und dem Schriftsteller Franz Massarek ein Operettenlibretto austüftelt, weiß er ganz genau, was das Publikum will. Nach Lehrjahren als Kapellmeister in der österreichischen Provinz arbeitet er seit 1924 in Berlin, als Handlanger seiner berühmten Kollegen, als Arrangeur, der die Ideen von Lehár, Kálmán und Friedrich Hollaender in theaterpraktische Form bringt. In Windeseile kann er jede Melodie in jedem Stil für jede Besetzung passend machen. Warum also nicht selber sein Glück versuchen an einer der sieben Berliner Operettenbühnen?

So einen prächtigen Aufwand können sich nur subventionierte Bühnen leisten

Monatelang geht er Klinken putzen, dann hat er Pächter des Theaters am Nollendorfplatz soweit. Einmal muss der Premierentermin noch verschoben werden, weil das Vorgängerstück zu gut läuft – „Krach um Jolanthe“, mit einem Schwein in der Hauptrolle. Am 23. Dezember 1933 aber katapultiert „Clivia“ ihren Schöpfer in die erste Reihe der deutschen Operettenkomponisten.

Das Stück mit den zündenden Foxtrott-, Tango- und Jazz-Nummern wird zum Hit, begeistert Generationen. Auch einen kleinen Linzer Jungen namens Walter Schmidinger. Als reifer Großschauspieler wird er 50 Jahre später den Geschwistern Pfister die Operette vorsingen, in den Probenpausen zum legendären „Weißen Rössl“ in der Bar jeder Vernunft. Seitdem trugen Christoph Marti, Andreja Schneider und Tobias Bonn den Traum von einer gemeinsamen „Clivia“-Inszenierung im Herzen. Barrie Kosky, der konsequent E und U mixende Intendant der Komischen Oper, hat ihn nun wahr werden lassen.

Die von Stephan Prattes und Heike Seidler ausgestattete Inszenierung prunkt mit einem Aufwand, wie ihn nur subventionierte Bühnen leisten können: Vor dem Prachtpanorama eines gemalten Anden-Bergmassivs stehen putzige Fassaden, die aussehen wie direkt aus Schlumpfhausen importiert. Hier startet der Abend mit einer furiosen Massenprügelei (Choreografie: Danny Costello), hier wird der Handlungsknoten geknüpft, hier paradiert die boliguaysche Amazonenarmee auf. Wenn das Libretto für den zweiten Akt einen Ballsaal fordert, hebt sich der Hintergrundprospekt – und in einem spektakulären Wow-Effekt wird auf der Drehbühne das Orchester hereingefahren. Die Musiker sitzen steil gestaffelt wie eine Big Band, über ihren Köpfen wölbt sich eine Pergola aus goldglitzernden Riesenblumen, zu der zwei Showtreppen hinaufführen.

In diesem kolossalen Kitschambiente bewegen sich die Pfisters mit traumwandlerischer Sicherheit. Weil sie vermutlich jeden Musikfilm der zwanziger bis fünfziger Jahre auswendig kennen, weil sie schon als Minderjährige Anneliese Rothenbergers Sendungen inhaliert, keine Folge von „Erkennen Sie die Melodie“ verpasst haben. Und weil sie mit dem Regisseur Stefan Huber einen Vertrauten an ihrer Seite wissen, mit dem sie all seine Kleinkunstabende realisiert haben.

Natürlich hilft es auch, dass das Trio vom Ensemble der Komischen Oper liebevoll adoptiert worden ist, dass die grandiosen Chorsolisten mit Feuer bei der Sache sind, dass Peter Renz seine langjährige Erfahrung als Metropoltheater-Tenor einbringt und Christoph Späth sich nicht zu schade ist, den Gossenhumor des Icke-Berliners, der in keiner Operette der Zeit fehlen darf, so richtig schön chargenhaft auszuspielen. Als rücksichtslos jovialer Investor E. W. Potterton glänzt Stefan Kurt.

Herr Ober, noch ein Glas Krimsekt!

Tobias Bonn ist die Rolle des Charmeurs Juan Damigo wie auf den Leib geschrieben. Kein Wunder, wenn er sich vokal derart ins Zeug legt, dass die Mikroportanlage an ihre Grenzen stößt. Andreja Schneider hat den Soubrettenpart übernommen, der für gewöhnlich mit Zuckerpüppchen besetzt wird– bei der Uraufführung flötete eine gewisse Liesl Swoboda, die sich Lil Sweet nannte, an der Seite des blutjungen Erik Ode „Am Manzanares ist Liebe was ganz Wunderbares“. Mit dem Charme einer Margot Honecker marschiert Fräulein Schneider an der Spitze der Amazonenarmee auf, um das Publikum dann mit Mutterwitz um so sicherer zu entwaffnen. Christoph Marti hat zwar schon vor zehn Jahren in Bern die Titelheldin in „Hello,Dolly!“ gesungen und wechselt als Ursli Pfister gerne das Geschlecht. Doch jetzt steigt er in sehr große Pumps: Lillie Claus nämlich, die 1933er-„Clivia“-Diva, war eine Koloratursopranistin mit Festengagement an der Wiener Staatsoper, die ebenso auch als Alban Bergs „Lulu“ glänzte. Doch Marti greift einfach nach noch größeren Sternen, wird zu Marika Rökk und Zarah Leander. Seine Clivia ist ganz Dame bis in die behandschuhten Fingerspitzen. Bei dieser Pampa-Prinzessin wirkt jeder Schritt, als trüge sie imaginäre Rumbarasseln in den Händen. Und weil Dirigent Kai Tietje die Partitur sehr geschickt an Christoph Martis Baritonlage angepasst hat, funktioniert die Sache auch musikalisch ganz famos.

Von ihren Verächtern wird der Operette ja gerne vorgeworfen, dass sie sich aus lauter Vergnügungssucht in Welten jenseits des realen Lebens flüchte. In diesen Tagen allerdings kann einem der historische Hintergrund des „Clivia“-Librettos – eine Großmacht versucht aus rein wirtschaftlichen Interessen, die demokratische Revolution im kleineren Nachbarland rückgängig zu machen – schon ziemlich vertraut vorkommen. Herr Ober, noch ein Glas Krimsekt!

wieder, 14.3., 20 Uhr, 20./28.3.,20 Uhr

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